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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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einem dumpfen Geräusch zu Boden. Es folgte ein Aufschrei, denn Spink geriet mit den Beinen unter das Geläuf des Pferdes. Schließlich rollte der Wagen über ihn hinweg.
    Wie in Trance trat Carter, der das wahre Ausmaß des Geschehens gar nicht mitbekommen hatte, in die Pedale, zumal das herrenlose Gespann jetzt mit ihm gleichauf lag. Er wollte, er durfte nicht verlieren, und Alicias heftige Armbewegungen, mit denen sie ihn zum Anhalten aufforderte, deutete Howard als Anfeuerung.
    Erst im Ziel, als er den mit dem Absatz gezogenen Strich mit knappem Vorsprung überfahren hatte, stemmte er sich mit gestrecktem Bein auf den Rücktritt des Pedals, daß das Hinterrad rauschend blockierte und eine dunkle Spur in den festgefahrenen Boden zog. Erschreckt von dem Geräusch, nahm das Pferd mit dem zweirädrigen Wagen Reißaus und galoppierte ungezügelt über die Wiese vor dem Herrenhaus auf eine Baumgruppe zu.
    Als Howard sich umwandte, um nach Alicia zu sehen, nahm er sie am Straßenrand auf dem Boden kniend wahr. Sie rief um Hilfe.
    Howard wuchtete sein Velociped in die entgegengesetzte Richtung, und als er bei Alicia anlangte, erkannte er, daß Spink schwer verletzt war. Bei seinem Anblick zitterte Alicia am ganzen Körper: Spinks Kleider waren zerfetzt. Das rechte Hosenbein gab den Blick frei auf den Oberschenkel, aus dem ein gebrochener Knochenstumpf ragte. Aus der Wunde quoll Blut und färbte den staubigen Boden schwarz.
    Spink war bei Bewußtsein, aber er gab keinen Laut von sich. Er preßte die rechte Hand auf den Bauch, und seine Unterlippe zuckte in unregelmäßigen Abständen. Dabei bäumte er sich auf, als führen Stromstöße durch seinen Körper.
    »Er stirbt«, jammerte Alicia leise, »so tu doch etwas!«
    Howard begegnete der Situation hilflos, doch er wußte, daß die größte Gefahr bei schweren Verletzungen darin besteht zu verbluten. Deshalb löste er den Gürtel seiner Hose, wickelte ihn zweimal um Spinks Schenkel und war gerade dabei, das Ende des Gürtels durch die Schnalle zu ziehen, als Spink einen gurgelnden Schrei ausstieß, den Carter zuerst nicht verstand; erst als er ihn wiederholte, erfaßte er, was Spink rief: »Hau ab, Carter!«
    »Du bist ein Idiot!« erwiderte Howard und ließ sich nicht von seinem Vorhaben, Spinks Bein abzubinden, abbringen. Erst als dieser vor Schmerz schreiend versuchte, Howard den Rücken zuzuwenden, ließ Carter von ihm ab. An Alicia gewandt, sagte er: »Er ist ein Idiot und bleibt ein Idiot. Versuch du, ihm das Bein abzubinden. Du mußt den Gürtel so fest zusammenziehen, daß kein Blut mehr aus der Wunde quillt. Inzwischen hole ich Hilfe.«
    Alicia nickte und machte sich an die Arbeit.
    Schon im Gehen vernahm Howard hinter sich Spinks gequälte Stimme: »Lieber krepiere ich, bevor ich deine Hilfe in Anspruch nehme, Carter!«
    Carter drehte sich um und warf Spink einen verächtlichen Blick zu, dann machte er eine wegwerfende Handbewegung und rannte auf das Herrenhaus zu.
    Aufgeschreckt von dem Lärm, den das durchgehende Pferd mit dem beschädigten Wagen verursachte, kam ihm Albert entgegen.
    »Spink ist unter die Räder gekommen!« rief Carter von weitem, »er wird verbluten, wenn ihm nicht schnell Hilfe zuteil wird. Wir brauchen einen Arzt!«
    »Doktor Mackenzie!« antwortete Albert knapp.
    »Wo ist er?«
    »Keine zehn Minuten von hier. Die Kutsche ist angespannt.« Sprach’s und rannte – für seine Verhältnisse hastig, für Carter eher bedächtig – in Richtung der Remisen.
    So behutsam wie möglich hoben Albert, Alicia und Carter den Verletzten auf den offenen Wagen. Spink ließ es ohne Widerrede über sich ergehen. Als jedoch Howard neben Albert auf dem Kutschbock Platz nahm, richtete sich Spink auf der Sitzbank auf und rief wütend: »Er soll verschwinden. Ich brauche seine Hilfe nicht. Hau endlich ab, Carter! Ich hasse dich.«
    Howard sprang vom Wagen, trat vor Alicia hin und murmelte, so daß Spink es nicht verstehen konnte: »Er ist verrückt oder er begreift nicht, in welcher Lage er sich befindet. Wenn er sich noch lange wehrt, hat er keine Hilfe mehr nötig. Könntest du nicht…«
    Alicia drängte Carter behutsam zur Seite, indem sie beide Hände gegen seine Brust stemmte. »Laß mich nur machen«, erwiderte sie und kletterte zu Spink auf den Wagen.
    Dann gab Albert den Pferden die Zügel und preschte davon in Richtung Mildenhall.
    Zwei Tage schwebte Robert Spink wegen des hohen Blutverlusts zwischen Leben und Tod, dann besserte sich sein Zustand.

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