Der König von Luxor
Pfund, damit ich sagte, er habe mich aus dem Feuer gerettet.«
»Das ist nicht wahr«, bemerkte Carter leise. Um ihn herum hatten sich Lord und Lady Amherst, Percy Newberry, der Butler Albert und Mrs. Cricklewood versammelt. Sie klatschten, kaum hatte das Mädchen geendet, in die Hände und riefen: »Bravo!«
Dann trat Jane auf Carter zu und drückte ihm einen Kuß auf die Wange, was große Rührung hervorrief.
»Fünf Pfund«, sagte sie leise, beinahe verschämt, »sind viel Geld für unsere Familie. Aber mein Vater wird es zurückzahlen. Ganz gewiß!«
Vor dem Eingang wartete Carnarvons Landauer, und der Lord mahnte Jane Hackleton zur Eile.
Als er Carter zum Abschied die Hand drückte und dieser dem Lord seinen Dank aussprach, meinte Carnarvon: »Carter, Sie gefallen mir. Man muß für Ordnung und Gerechtigkeit kämpfen.«
Nachdem die Dinge für ihn eine so unerwartete Wendung genommen hatten, genoß Carter die schönste Zeit seines Lebens. Seine Beschäftigung mit kunstvollen Relikten aus der ägyptischen Vergangenheit nahm ihn ganz in Anspruch. Er verstand sich auf die äußerst diffizilen Aufgaben, die Lord Amherst ihm erteilte, kopierte Zeichnungen, Inschriften und Hieroglyphen, deren Bedeutung er nicht verstand, deren immer wiederkehrendes Schema er jedoch schnell erkannte.
So kam es, daß Amherst seinen Zeichner eines Tages in ein Geheimnis einweihte, das für Howard kein Geheimnis mehr war, weil Alicia es ihm längst anvertraut hatte. Der Lord führte Carter in das klamme Gewölbe, in dem die Mumie aufgebahrt war, und nahm ihm das Versprechen ab, niemandem davon zu berichten. Carter versprach es; aber insgeheim amüsierte ihn die Geheimnistuerei Seiner Lordschaft angesichts der Geschwätzigkeit seiner jüngsten Tochter Alicia.
In der Gluthitze des Sommers war das kühle Gewölbe unter dem Seitenflügel von Didlington Hall ein weit angenehmerer Aufenthaltsort als jetzt zur Herbstzeit, wenn die Nebel über dem Breckland lagen. Carter fröstelte, und die Luft war so muffig, daß er es vermied, tief einzuatmen. Hinzu kam die schlechte Beleuchtung, welche nicht gerade dazu beitrug, die Arbeit angenehmer zu gestalten. Seine Aufgabe war es, verschiedene Ansichten des Mumiensarges zu erstellen und Detailzeichnungen, mit deren Hilfe Vergleiche mit anderen Ausgrabungen angestellt werden konnten.
Zehn Tage schloß sich Carter in das Gewölbe ein – so hatte es Amherst aufgetragen, damit ihn niemand überraschte –, zehn Tage allein mit Mr. Peabody, in denen er jede Einzelheit in sich aufnahm, um sie dann auf Papier wiederzugeben. Er arbeitete in Hut und Mantel und mit einem dicken Schal um den Hals, und bisweilen ertappte er sich dabei, daß er mit Mr. Peabody Zwiesprache hielt, indem er sich nach seinem Befinden erkundigte heute morgen und ob er wohl geruht habe. Manchmal glaubte er sogar, eine Antwort zu vernehmen: Danke der Nachfrage, Mr. Carter, man wird ja anspruchslos im Laufe der Jahrtausende. Oder: Ziemlich frisch heute morgen, finden Sie nicht auch? Ich habe mich noch immer nicht an das englische Klima gewöhnt.
Die einzige Abwechslung, die Howard in seiner Einsamkeit erfuhr, war ein Besuch Alicias. Sie hatte ihn vermißt und von Newberry seinen Aufenthaltsort erfahren. Jetzt klopfte sie plötzlich an die Türe des Gewölbes und rief leise: »Howard! Ich bin’s, Alicia!«
Carter war nicht wohl bei Alicias Erscheinen. Wenn der Lord davon erfuhr, mußte es den Anschein haben, als habe er das Versteck verraten. Aber Alicia zerstreute seine Bedenken: »Papa ist zur Parlamentseröffnung nach London gefahren. Erfahrungsgemäß bleibt er drei Tage. Mach dir also keine Sorgen! Ich will auch gar nicht stören, nur bei der Arbeit zusehen. Das erlaubst du doch?«
Howard nickte. »Leider kann ich dir nicht einmal einen Stuhl anbieten. Was macht dein Vater bei der Parlamentseröffnung?«
»Amherst ist Member of Parliament. Wußtest du das nicht?«
»Nein, das wußte ich nicht.« Carter pfiff leise durch die Zähne.
»Weißt du«, begann Alicia, während Howard bereits zum zweiten Mal das Kopfprofil der Mumie skizzierte, »Papa zählt zu den Menschen, die nur eine Angst kennen im Leben, und die heißt Langeweile. Er hat sich so viele Ämter aufgeladen, daß für seine Familie kaum noch Zeit bleibt. Ich kenne Papa eigentlich nur in sitzender Haltung vor einem Teller. Jedenfalls erinnere ich mich nicht, ihm bei einer anderen Gelegenheit als beim gemeinsamen Abendessen begegnet zu sein. Dann erzählt
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