Der König von Sibirien (German Edition)
nicht halt. Gewisse Gruppen im Land bemühten sich, über die Tochter des Parteichefs angenehme Konstellationen zu erzeugen. Sie gab sich sehr eigensinnig und war noch nicht einmal als Studentin Mitglied der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol, obwohl ihr Vater damals Chef der Unionsrepublik Moldawien war. Und die Eigenwilligkeit setzte sich fort, indem sie einen Artisten heiratete. Dieser Dame wurden Brillanten angeboten, wenn sie im Gegenzug dafür sorgte, dass man Leiter eines bestimmten Kombinats, Sekretär eines Rayons oder schlicht und einfach Minister einer Republik wurde. Um ganz sicher zu gehen, begünstigte man auch ihren derzeitigen Mann - bereits der dritte und Nachfolger eines Illusionisten, der beim Zirkus angestellt war - mit mehr als einer halben Million Rubel. Die nach oben strebenden Herren ver-
säumten auch nicht, an die jeweiligen Liebhaber der Dame zu denken. Da diese sehr schnell wechselten, konnte es schon mal passieren, dass man einem Verflossenen noch etwas in die Tasche steckte, obwohl er schon längst nicht mehr aktuell war. Zur Erleichterung aller dauerte die Liaison mit einem Zigeuner länger, das vereinfachte vieles.
Dass Bestechung eine russische Krankheit war, Leute wie Besmertisch keine Skrupel kannten und alle Gelegenheiten ausnutzten, erst recht, wenn sie sich weit von Moskau und dadurch unbeobachtet wähnten, wusste Alexander aus eigener Erfahrung - schließlich bediente er sich auch dieser Methode. Dagegen waren ihm Bestechungsvorwürfe gegenüber den höchsten Kreisen und Staatsträgern bisher nur als Gerüchte erschienen, nun hatte er den Beweis. Viele mussten von diesen Verfehlungen wissen, wie die Unterlagen dokumentierten. Deckte dort jeder jeden? Fertigte man gleichzeitig private Aufzeichnungen an, um sich zu schützen?
Als Besmertisch wieder einmal Alexander aufsuchte, wollte dieser ihm zwanzigtausend Rubel aushändigen. Besmertisch bestand darauf, dass dies nicht in Alexanders Büro, sondern in der freien Natur während eines Spaziergangs geschah. Der Übergewichtige hatte gewisse Fotografien in nicht allzu guter Erinnerung.
Nikolai junior war inzwischen fünf Jahre alt, seine Schwester dreieinhalb, das Familienglück perfekt - und immer noch zeigte sich kein dunkler Streifen am Horizont. Allmählich wurde Alexander diese ungewohnte Ruhe unheimlich, andererseits jedoch empfand er sie als Ausgleich dafür, was ihm bisher alles schon widerfahren und entgangen war. Je nach Verfassung und Gemütslage pendelte sein Zustand zwischen Wachsamkeit und Zufriedenheit.
Der Vielvölkerstaat UdSSR befand sich im Olympiataumel, als der politische Knall viele, die für politische Entspannung waren, desillusionierte: Die Sowjetarmee marschierte Weihnachten 1979, wieder unter dem Vorwand der Bruderhilfe, in Afghanistan ein. Das hatte bereits Tradition, und die Konsequenzen für das Land waren furchtbar. Hatte der Amerikaner Barrington doch recht, fragte sich Alexander, als er von der Altherrenriege sprach und deren Unberechenbarkeit?
Die westlichen Nationen drohten der UdSSR, doch die Sowjetführung nahm das nicht allzu ernst, sie hatte eine solche Reaktion erwartet und letztlich Untätigkeit, auch die der UNO, einkalkuliert. Immerhin wurden vom Westen, um das Gesicht zu wahren, Handelsbeschränkungen auferlegt, besonders der Export von Hochtechnologie unterlag einer scharfen Kontrolle, und jeder Einzelfall musste genehmigt werden. Das war auch noch zu verkraften. Was allerdings der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, die schon seit jeher großen Wert auf eine lupenreine Selbstdarstellung in der Weltöffentlichkeit legte, besonders schmerzte, war ein Umstand, mit dem niemand gerechnet hatte: Viele Staaten boykottierten wegen der aggressiven Sowjetpolitik die Olympischen Spiele von Moskau. Nun sah Barrington den Zeitpunkt gekommen, von dem er vor zwei Jahren gesprochen hatte. Er bot Alexander über Sato gewisse Elektronikteile an, welche die UdSSR unbedingt für Großrechner und Raumfahrt benötigte - durch amtliche Stellen in Amerika sei deren Export direkt genehmigt worden.
»Und was wollen Sie als Gegenleistung:«
»Wir wissen nicht genau, wie die Macht in Ihrem Land verteilt ist. Gut, es gibt die offizielle Führung, die Aushängeschilder wie Breschnew und sein Gefolge, die sich vor Altersschwäche alle fünf Minuten hinsetzen müssen.«
»Sie sind der Auffassung, hinter den Vorhängen gibt es welche, die jetzt schon die Geschicke steuern?«
»Sie haben es
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