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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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festgestellt?«
    »Jawohl, Genosse Hauptmann.«
    »Andere haben das auch bestätigt, und Mikola war wirklich in der letzten Zeit sehr sonderbar. Er hat doch mit dir in einem Schlafsaal gelegen?«
    »Jawohl, Genosse Hauptmann.« Nach dieser Frage durchschaute Alexander das Spielchen des Politruks, der vor sich hin murmelte: »War in der letzten Zeit sonderbar.« Dazu machte er sich einige Notizen.
    »Mikola hat also von Selbstmord gesprochen. Du hast ihn doch gut gekannt.«
    »Ja, Genosse Hauptmann.«
    »Hat von Selbstmord gesprochen«, murmelte der Politruk, während er schrieb.
    »Und er hat auch gebetet, nicht?«
    »Ich weiß nicht, Genosse Hauptmann.«
    »Mikola soll öfters in der Ecke gesessen haben.«
    »Ja, Genosse Hauptmann.«
    »Hat gebetet.« Und lauter zu Alexander, unüberhörbar war der Vorwurf herauszuhören: »Gautulin, wenn du das alles weißt, warum hast du Mikola dann nicht geholfen?«
    Alexander schwieg, er fühlte sich schon halbwegs schuldig.
    »Warum hast du uns, die Lagerleitung, nicht informiert? Du bist verpflichtet, uns über alles zu informieren, was einem Mithäftling schaden könnte.«
    »Jawohl, Genosse Hauptmann.«
    »Wir werden uns überlegen, wie wir mit dir verfahren werden. Ja, mein lieber Gautulin. das war eine schwere Unterlassung. Wegtreten!«
    So mit Schuld beladen, verließ Alexander das Büro des Natschalnik und war ganz geknickt. Draußen auf dem Flur spürte er sogleich den Knüppel des Wachmanns.
    »Mach gefälligst Mitteilung, wenn dir was sonderbar vorkommt«, zischte er. »Hast du verstanden?«
    »Jawohl, Genosse ... «
    Wachmänner dürfen an den Türen lauschen.

    Mikola war noch lange Gesprächsthema, und zwar so lange, bis es Kraut zu essen gab und am nächsten Tag alle Lagerinsassen über reißende Leibschmerzen klagten. Etliche übergaben sich, andere hatten Magenkrämpfe, wieder andere Fieber und Schüttelfrost. Nur Alexander spürte nichts, obwohl er gleichfalls von dem säuerlich schmeckenden Gemüse gegessen hatte. Wie gern hätte auch er sich elend gefühlt, wie gern hätte er auf diese Weise für seine Unterlassung, die Lagerleitung nicht informiert zu haben, gebüßt.
    »Bestimmt hat der Schuft von Koch das Zeug auf dem Schwarzmarkt gekauft«, beschwerte sich Wanja. »Und einen dicken Profit gemacht. Wird ihn sich mit dem Viehtreiber teilen.«
    Alexander verstand wieder mal überhaupt nichts. Wie kann man denn Kraut auf dem Schwarzmarkt kaufen und dabei auch noch Profit machen? Waren nicht die Preise festgeschrieben und vom Staat reguliert?
    Irgendwann, den Insassen ging es nach einer Phase, in der alle Durchfall hatten und stundenlang die Toiletten blockierten, wieder besser, kam das Gerücht auf, Mikola müsse etwas Schreckliches beobachtet haben, deswegen sei er umgebracht worden. Aber was er beobachtet haben könnte, wusste niemand. Was sollte es denn auch schon Geheimnisvolles in der Näherei, in der Mikola gearbeitet hatte, zu sehen geben?
    Eines Abends, als Alexander den Schlafraum betrat, stand der orthodoxe Priester Dimitri Warschenko mitten im Raum und las aus einem dicken Buch vor.
    »Die Bibel«, flüsterte Wanja, der Politische, und legte einen Finger auf den Mund.
    Alexander lauschte den Worten des Priesters, der vom Frieden auf dieser Welt sprach. Und man müsse den Feinden vergeben, denn Weihnachten sei nun mal das Fest des Friedens und der Vergebung. Einer der Gefangenen hatte einen Kerzenstummel aufgetrieben. Als das Licht gelöscht wurde, saßen zwanzig zu vielen Jahren Lagerhaft verurteilte Männer schweigend und seltsam andächtig um die kleine flackernde Flamme. Jeder ging auf eine innere Reise, nur Alexander nicht. Für ihn gab es nichts mehr zu reisen.

    Weihnachten war vorüber, das neue Jahr hatte begonnen, Mikolas Tod schien ohne Konsequenzen zu bleiben.
    »Wenn einer von uns schuldig gewesen wäre, dann hätte es eine Untersuchung gegeben«, klärte Wanja, der allem Anschein nach mit den Interna eines
    Lagers bestens vertraut war, Alexander auf. »Jeder Natschalnik fürchtet nichts mehr als eine Untersuchung, die von Moskau anberaumt wird. Dann könnten Dinge ans Tageslicht kommen, die er schon längst begraben und vergessen glaubt.«
    Alexander verstand die innere Logik nicht. »Aber Mikola ist doch eindeutig umgebracht worden. Wie kann einer mit auf den Rücken gefesselten Händen so hoch springen und sich auch noch selbst aufspießen?«
    Wanja wusste es besser. »Es war Selbstmord. Glaube mir, das hat die Untersuchung eindeutig

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