Der König von Sibirien (German Edition)
inspizierte. Holzgestelle dienten als Liegen, eine kleine Kammer - abgesehen von einigen, mit Tüchern zugedeckten Steinfässern war sie leer - für den Vorrat. Und in den Fässern befanden sich Salz, eingelegtes Fleisch und Schmalz. Alexander, seit Wochen auf Fisch eingestellt, traute sich nicht recht, zuzugreifen. Schließlich überwand er seine Scheu, aß von dem gepökelten Fleisch und trank frisches Wasser aus einem Brunnen.
Zuerst wollte Alexander im Freien übernachten, dann erinnerte er sich an den letzter Frost.
Am Morgen zog er weiter, immer nach Norden, hinein in den Winter und in die Kälte, die von Tag zu Tag zunahm. In seinem Gepäck gab es nun ein Rentierfell, das er auf dem Dachboden entdeckt hatte, wo viele herumlagen. Um nicht undankbar zu erscheinen, teilte er den Bewohnern auf der verstaubten Herdplatte mit, dass er Fleisch gegessen und ein Fell an sich genommen hatte.
Am Nachmittag die nächste Überraschung: Deutlich konnte er Spuren sehen - zwei Rinnen, die sich tief in den Untergrund drückten, und dazwischen ein Wulst. Alexander war auf eine Allwetterstraße gestoßen und hoffte, dass demnächst ein Fahrzeug vorbeikommen würde. Zugleich aber hatte er Angst davor. Er wusste nicht, wie er sich entscheiden würde, falls tatsächlich eines auftauchte. Weil ihm der Wind ins Gesicht blies, hörte er den schweren Dieselmotor erst sehr spät. Als er sich erschrocken umblickte, war der Lkw nur noch wenige Meter hinter ihm. Das Fahrzeug bremste, die Räder blockierten auf dem staubigen Untergrund, und die Frontpartie mit dem Motor wippte. Zischend verkündeten die Druckluftbremsen ihren erfolgreichen Einsatz.
Die Seitenscheibe wurde heruntergekurbelt, ein Kopf tauchte auf. »Na, Brüderchen, willst du mit?«
Alexander besah sich den Mann.
Ungepflegt wirkte er, eine Mütze auf dem Kopf und den Oberkörper in ein enges kariertes Hemd gezwängt. Dazu eine Latzhose, deren letzte Bekanntschaft mit Wasser wohl schon Monate zurücklag.
»Wohin geht es?«
»Auch noch wählerisch, was? Nach Salechard. Und von dort weiter nach Nyda.«
Alexander kannte Salechard, die Stadt nahe am Eismeer, wo der Ob mündete. Von Nyda hatte er noch nie etwas gehört.
»Ja, gerne.« Er wollte die Beifahrertür öffnen, aber der Mann rutschte auf die andere Seite und deutete auf seinen Platz. »Kannst dir die Fahrt verdienen.«
Alexander, er hatte das Chauffieren von Lastkraftwagen bei der Armee gelernt, stieg ein, verstaute sein Gepäck, besah sich das Armaturenbrett, drückte die Kupplung und schob unter Zwischengas einen Gang in das Getriebe. Mit einem Seitenblick erkannte er sofort, warum er das Gefährt steuern sollte. Noch bevor er weiter hochschalten konnte, hatte der Fahrer eine Flasche angesetzt und trank mit geschlossenen Augen. Dann rülpste er vernehmlich. »Auch einen Schluck?«
»Nein.«
»Bist unterwegs, was?«
»Ja.«
»Ingenieur?«
»Landvermesser.«
»Aha. Und deine Ausrüstung?«
»In einem Dorf bei Rentierzüchtern. Deren Winterquartier. Mein Auto ging die Brüche.«
»So, so. Ist dein Rasierapparat auch in die Brüche gegangen?« Der Mann lachte und deutete mit der Flasche auf Alexanders Gesicht.
Im Nachhinein konnte sich ein Bart als günstig erweisen, falls er gezwungen war, Pagodins Ausweis vorzuzeigen. Obwohl der ehemalige Natschalnik mindestens zehn Jahre älter war, half der Bart, den Unterschied zu kaschieren.
»Wie heißt du?«
»Romuald Pagodin.«
»Markus Nadeike. Bin Lette.«
»Weißrusse.«
Die Allwetterstraße war nicht einfach zu befahren. Ein Schlagloch löste das andere ab, manchmal setzte der Unterbau des Lkws auf, schrammte über den Boden, und die Ladefläche mit der Plane schaukelte wild.
»Was transportierst du?«
»Dies und das.«
»Und wo kommst du her?«
»Von Süden.«
Alexander, über die einsilbigen Antworten verärgert: »Da wäre ich jetzt nicht drauf gekommen.«
Die nächsten Minuten konzentrierte er sich auf die Strecke. Immer noch war links und rechts kein Gebäude und keine Ansiedlung zu sehen. Wenn überhaupt, dann gab es sie nur in direkter Nähe einer Verkehrsanbindung.
»Wie weit ist es noch bis Salechard?«
Nadeike schaute auf seine Uhr. »Sechs Stunden.« Und nach einem Seitenblick: »Du willst Landvermesser sein und weißt nicht, wie weit es bis Salechard ist?«
Alexander antwortete nicht.
»Werden irgendwo übernachten müssen «
»Und wenn ich durchfahre?« Das gefiel dem Letten. »Mir soll es recht sein. Ich habe die Ware am 30.
Weitere Kostenlose Bücher