Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
ein Dilemma. Auf keinen Fall wollten sie Freunde oder Bekannte in die Angelegenheit mit hineinziehen, folglich kamen nur Personen aus dem öffentlichen Leben in Betracht. Leute, die sie zwar nicht persönlich kannten, die aber über jeden Zweifel erhaben waren. Auch nach längerem Überlegen waren ihnen nur eine Handvoll Kandidaten eingefallen, aber keiner von den Ausgewählten schien perfekt zu sein.
„Ich dachte, Sie kommen selbst, Frau Kanzlerin.“
Eine längere Pause entstand, bis sie sagte: „Unmöglich.“
Das war die erwartete Antwort.
„Ich kann Berlin nicht einfach so verlassen. Das würde einen riesigen Aufruhr in der Presse verursachen“, schnaubte die Regierungschefin. „Zumal morgen der polnische Ministerpräsident nach Berlin kommt, wie Sie vermutlich auch in Frankreich in der Zeitung lesen konnten.“
So etwas hatte Parker befürchtet. Die Kanzlerin zog sich geschickt aus der Affäre. Er hörte ihren Atem, der langsam und schwer durch die Telefonleitung glitt. Sie schien zu überlegen, und Parker beschloss, ebenfalls eine Weile schweigend abzuwarten. „Aber es gibt eine Alternative“, sagte sie schließlich.
„Wen?“
„Arno Reißfeld.“
Parker war verblüfft. Ihr legendärer politischer Weggefährte, mit dem sie ein höchst ungleiches, aber sehr erfolgreiches Paar bildete. Ihr Magier der Macht, wie Reißfeld respektvoll von den Medien genannt wurde. Ein Polit-Profi, der es geschafft hatte, auch nach über vierzig Jahren in der Politik nicht in den kleinsten Skandal verwickelt worden zu sein – von ein paar Frauengeschichten abgesehen. Die Beliebtheitswerte des grauhaarigen Beaus lagen seit langem weit über denen des restlichen Personals der Berliner Republik. Viele wünschten sich Reißfeld als nächsten Kanzler oder zumindest als Bundespräsident. Und viele sahen in ihm den Grund für den unaufhaltsamen Aufstieg der Kanzlerin. Keiner jedoch hatte je an seiner Integrität gezweifelt. Parker bedeckte die Telefonmuschel mit einer Hand und flüsterte zu Zoé: „Was denkst du?“
Sie nickte ihm zu.
„Einverstanden“, sprach er dann.
„Reißfeld braucht einen gewissen Schutz.“
„Nicht mehr als einen Mann. Und der muss wirklich handverlesen sein. Schicken Sie nur jemanden mit, dem Sie selbst blind vertrauen.“
„Gut.“ Die Kanzlerin schluckte. Die Entscheidung schien ihr schwerzufallen. „Mein persönlicher Leibwächter, Hauptkommissar Schmitt, wird den Innenminister begleiten. Sie kennen ihn ja schon. Er ist absolut vertrauenswürdig.“
Parker erinnerte sich an den kräftigen Polizisten, der ihn aus der Gerichtsmedizin abgeholt hatte. „Überprüfen Sie ihn noch einmal genau.“
„Das ist bereits durch den Innenminister selbst veranlasst worden. Schmitt ist in Ordnung. Dreifacher Familienvater, und er weicht seit über zehn Jahren nicht von meiner Seite.“
Er überlegte kurz und gab dann der Kanzlerin sein Einverständnis.
„Wo ist das Bernsteinzimmer jetzt?“, fragte sie.
„Unbekannt.“
„Irgendeine Ahnung?“
„Nein.“
„Wer ist der Käufer?“
„Angeblich Russen.“
„Preis?“
„Unbekannt.“
„Sind Sie allein unterwegs?“
Zoé und er hatten abgemacht, so wenig Informationen wie möglich über ihre derzeitige Lage preiszugeben. Die Kanzlerin sollte nur das erfahren, was sie brauchte, um gegen die Verschwörer vorzugehen. „Ja. Ich möchte, dass Reißfeld und Schmitt exakt um elf Uhr dreißig die Anlage betreten. Ich werde die beiden beobachten und die Übergabe beim geringsten Verdacht abbrechen. Haben Sie das verstanden?“
„Verstanden“, antwortete die Kanzlerin. Sie räusperte sich kurz, bevor sie hinzufügte: „Parker, sollen wir Sie in Sicherheit bringen? Wenn Sie wollen, nimmt Reißfeld Sie mit nach Berlin zurück. Wir können Sie hier schützen, bis alles vorbei ist. Das verspreche ich Ihnen. Sie haben schon mehr als genug getan – kommen Sie nach Hause, Parker.“
Er verabschiedete sich und hängte den Hörer auf die Gabel.
Zoé schaute ihn schelmisch an. „Ein Rendezvous mit Aramis auf dem romantischen Mont Saint-Michel.“ Sie schnalzte leise mit der Zunge. „Das wollte ich schon immer.“
Kapitel 50
In der Nacht war das Wetter umgeschlagen. Ein triefender, mattgrauer Nebel hatte sich über den Ärmelkanal gelegt und sie auf der ganzen Fahrt bis zur Mündung des Flusses Couesnon begleitet. Die Sicht betrug kaum mehr als fünfzig Meter, so dass sich die gewaltige Klosterburg vor ihnen verbarg, obwohl der granitene
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