Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
, bezeichnet wurde. Sie weinten über den tragischen Tod ihres Bruders Phaeton, und aus den Tränen der trauernden Schwestern wurde das berühmte Gold der Ostsee.
Nochmals strich sie über den Bernstein und blickte zu Parker herüber, der das Kunstwerk, das auf dem wuchtigen hölzernen Esstisch lag, ebenfalls bewundernd betrachtete. Es war kreisrund, ungefähr sieben Zentimeter hoch und siebzig Zentimeter breit. In der Mitte der Bernsteinscheibe prangte eine kunstvolle Intarsie: FR
„Fridericus Rex“, sagte Zoé. „Katharina die Große hat die Intarsien mit den Initialen Friedrichs des Großen speziell für das Bernsteinzimmer anfertigen lassen.“
Sie erläuterte Parker kurz die Geschichte des Bernsteinzimmers, soweit sie ihr bekannt war. Ursprünglich hatte der Preußenkönig Friedrich I. das sogenannte Bernstein-Cabinett im Berliner Schloss Charlottenburg einrichten lassen – und zwar in seinem Lieblingsraum, dem Tabacs-Collegium, wo er mit hohen Regierungsbeamten, Offizieren seiner schlagkräftigen Armee, Höflingen und Gästen nach Belieben plauderte, zechte und rauchte. Nur Frauen war der Zutritt strengstens verboten. Wenn du wüsstest, dass heute eine Frau in Berlin herrscht, dachte Zoé und schmunzelte innerlich. Der ausgeprägte Hang zu Männerrunden schmälerte ihre Sympathie für den barocken König mit dem Bernsteintick in keiner Weise. An Friedrich Wilhelm, seinem Sohn, fand sie wegen dessen Liebe zu allem Militärischen weniger Gefallen. Bis heute war der Erbe vor allem als der Soldatenkönig bekannt. Zoé wunderte es nicht, dass Friedrich Wilhelm dem russischen Zar Peter I. das Bernsteinzimmer im Gegenzug für militärischen Beistand gegen die Schweden geschenkt hatte. Ganz besonders angetan war der preußische Regent von der Zugabe des russischen Herrschers: den Langen Kerls, eine Truppe russischer Paradegrenadiere mit mindestens sechs Fuß Körpergröße. „Für diese Angeber-Leibgarde hat Friedrich Wilhelm bereitwillig das Bernstein-Cabinett seines Vaters geopfert.“ Zoé seufzte. „Was soll man schon von jemandem erwarten, der auch in seiner Freizeit am liebsten in Uniform herumlief und freiwillig auf einem Feldbett schlief?“
„Nun ja, auf wundersame Weise gelangte das Bernsteinzimmer auch in Russland wieder in deutsche Hände“, erwiderte Parker.
Das stimmte. Katharina die Große war eine deutsche Prinzessin, geboren in Stettin als Sophie Frederike Auguste von Anhalt-Zerbst. Sie konnte ihr deutsches Blut und ihre romantische Hingabe zu Friedrich II. nie verleugnen, was die Friedrich-Intarsie bezeugte. Sie war es auch, die den Auftrag erteilte, das Bernstein - Cabinett nicht nur kunstfertig zu ergänzen, sondern vor allem auch großflächig zu erweitern. Mit Hilfe der besten Kunsthandwerker und Künstler Europas verwandelte sie Friedrichs gemütliche Tabakstube in einen einhundert Quadratmeter großen Prunksaal.
In Parkers Blick war ein amüsierter Ausdruck getreten. „Manche sagen, die liebestolle Zarin hätte dort nicht nur Empfänge gegeben.“
Zoé verdrehte die Augen und musterte nochmals die Intarsie. „Abgesehen von diesen Männerphantasien ist die eigentlich interessante Frage, ob dieses Stück hier wirklich aus dem Bernsteinzimmer stammt.“ Mit prüfendem Blick schaute sie Falkenhayn an, der sich am anderen Ende des Tischs auf einer Holzbank niedergelassen hatte. Er trug ein ausgeblichenes grünes Jagdhemd. Vor ihm stand ein halbvolles Glas mit russischem Wodka, und das Gewehr lehnte neben ihm an der Wand. Gelassen erwiderte der alte Mann Zoés Blick. Während er das Glas hob, begann er zu sprechen. „Jeder Kenner der Materie wird Ihnen bestätigen, dass dies ein Meisterstück barocker Handwerkskunst ist. Ein Original, wohlgemerkt. Schauen Sie genau hin.“ Er trank und deutete auf die Kunstarbeit. „Sehen Sie die Eintrübungen des Bernsteins? Obwohl das Stück weitgehend vor Umwelteinflüssen bewahrt wurde, hat die Zeit doch ihre Spuren hinterlassen.“ Er hielt das Glas vor sich in die Höhe und betrachtete es mit scheinbar großem Interesse. „Bernstein ist ein höchst empfindlicher Werkstoff, der nicht viel verzeiht.“
Tatsächlich hatte Zoé schon vorher eine Vielzahl von eingedunkelten Stellen erkannt. Aber davon abgesehen, befand sich die Arbeit in einem erstaunlich guten Zustand.
„Ein anderer Aspekt ist die Frage, ob dieses Stück Königsberg überhaupt erreichte“, schaltete Parker sich ein, „oder nicht vielleicht schon in Sankt Petersburg entwendet
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