Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
West-deutschland den Kommunisten in die Hände gefallen ist. Dafür sollten Sie dankbar sein.“
„Sie vergessen, wer schuld daran war, dass die Russen bei Kriegsende in Berlin standen – ohne den Überfall auf Russland wäre das alles nicht geschehen“, entgegnete Parker.
Falkenhayn schüttelte schwerfällig den Kopf. „Der Krieg mit Russland war unvermeidbar. Hitler hatte das klar erkannt. Die Rote Armee stand schon Gewehr bei Fuß, um uns zu überrollen. Nur ein Erstschlag konnte das verhindern.“ Wieder schoss sein verknöcherter Zeigefinger nach vorne. „Und wir hätten den Krieg gegen Russland gewinnen können, wenn der Führer auf die Frontkommandeure anstatt auf seine Paladine in Generalsuniform gehört hätte“, rief er nun. „Glauben Sie mir, wir hätten gewonnen!“
Zoé ertrug es nicht länger. Zornig stürmte sie auf Falkenhayn zu. „Haben Sie in Buchenwald, Dachau, Auschwitz auch gewonnen?“
Einige Sekunden lang geschah nichts. Falkenhayns Miene hatte sich in eine wutverzerrte Grimasse verwandelt. Ruckartig streckte er seinen Oberkörper und erhob sich. „Ich hätte Sie beide vorhin erschießen sollen.“
„Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“
„Einer Spanierin und einem Amerikaner brauche ich gar nichts zu beantworten! Sie beide sind ja zusammen noch nicht einmal ein ganzer Deutscher.“ Falkenhayn keuchte vor Erregung. „Aber ich tue es trotzdem. Ich antworte Ihnen: Wir haben die SS mehr gehasst, als Sie sich das heute vorstellen können – aber wir haben Deutschland auch viel mehr geliebt, als Ihresgleichen dazu jemals in der Lage sein wird. Und wir haben unser Leben bedingungslos für unser Land eingesetzt.“ Er riss seine Hände nach oben und streckte sie ihr mit geöffneten Handflächen entgegen. „An diesen Händen klebt nicht ein Tropfen Blut eines KZ-Insassen.“ Er machte eine Pause. „Aber dafür das Blut einiger Herrenmenschen in Totenkopfuniformen.“
Zoé erkannte Falkenhayns Stolz über seine Taten, und sie glaubte ihm. Doch ganz so einfach war die Sache für sie nicht. „Sie wussten, was in den Lagern geschah, habe ich recht?“
Falkenhayn wandte sich ab und öffnete den Holzschrank, der neben der Sitzbank stand. Er nahm eine Flasche mit kyrillischen Buchstaben auf dem Etikett heraus und drehte langsam den Verschluss auf. Seine Lider waren nahezu geschlossen, als er die klare, ölige Flüssigkeit in sein Glas goss. Er trank es in einem Zug leer, setzte es ab und füllte es erneut. Die Flasche schob er an das Glas heran. Erst nach einer Weile begann er wieder zu sprechen, mit fester, deutlicher Stimme, aber ohne jede Emotion: „Wir wussten es. Wir wussten von den Zügen voller armer Seelen, die in die Lager fuhren und leer wieder herauskamen. Wir wussten von den Gaskammern, den Krematorien und wussten auch, wozu sie da waren. Wir hatten auch ziemlich genaue Kenntnis von den Zuständen in den Lagern: den systematischen Ermordungen, den bestialischen Menschenversuchen, den Vergewaltigungen, den alltäglichen Erniedrigungen und der völligen Willkür von Himmlers Schergen.“ Er atmete schwer aus. Mit einer Hand stützte er sich auf dem Tisch ab, dann sackte er plötzlich in sich zusammen und ließ sich zurück auf die Bank fallen.
Zoé spürte die Aufgewühltheit des alten Mannes, der sichtlich mit sich rang. Sehr leise sagte sie: „Aber …?“
„Aber“, Falkenhayn zögerte einen kurzen Moment, „aber wir konnten nichts tun. Die SS hat unser Vaterland geschändet, und wir konnten nichts tun. Gar nichts.“ Er starrte durch Zoé und Parker hindurch ins Leere. Vor seinen Augen lief offensichtlich ein Film ab, der für sie unsichtbar war. „Das Einzige, was uns blieb, war, den Amerikanern Informationen über die Zustände in den Lagern zu liefern.“ Seine Augen fixierten nun wieder Zoé. „Leider hat es sehr lange gedauert, bis uns die Amis geglaubt haben.“ Er nahm einen kräftigen Schluck. „Mehr war nicht möglich.“
Alle schwiegen. Zoé wandte sich von Falkenhayn ab, der zusammengesunken am Tisch saß, die Augen starr auf den Wodka gerichtet. Ihr Blick glitt an Parker vorbei zum Fenster neben der Tür, durch das Sonnenstrahlen fielen. Grübelnd näherte sie sich der Scheibe, die eine gute Sicht auf die Lichtung bot. Sie dachte an die unvorstellbaren Greueltaten im Dritten Reich und an die Rolle, die Falkenhayn damals gespielt hatte. Wer war dieser Mann? Aus was für einer schrecklichen Zeit kam er bloß?
In einem hatte er allerdings recht:
Weitere Kostenlose Bücher