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Der Königsschlüssel - Roman

Der Königsschlüssel - Roman

Titel: Der Königsschlüssel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Stadt!«, rief sie und winkte weiter.
    Der Bär brauchte eine Weile, bis er begriff, was sie ihm zuriefen, dann hob er die Pranke, winkte ebenfalls wie ein Verrückter und deutete Richtung Norden. Sein Gesicht konnten sie von hier oben nicht erkennen. Sie drehten die Köpfe und sahen so lange zu ihm, bis er nur noch ein winziger Punkt am Horizont war.
    »Glaubst du, er ist uns nachgelaufen? Weil er doch am Schrottfluss sitzt. Vielleicht ist er nur nicht drübergekommen«, überlegte Cephei.
    »Möglich. Wenn ihn nicht jemand wie Apus rüberfliegt. Vielleicht kehrt er jetzt um und kommt in die Stadt«, setzte Vela hinzu, weil sie wusste, dass sich Cephei freuen würde, den Bären wiederzusehen. Gegen eine gute Geschichte hätte auch Vela nichts einzuwenden, selbst wenn sie nach dieser Reise ein paar eigene Geschichten zum Besten geben konnte.
    »Ob er wohl das Duell gewonnen hat?«, fragte sie, und Cephei wandte sich beleidigt zu ihr um.
    »Natürlich hat er das, steht doch außer Frage.« Er schüttelte den Kopf.
    An diesem Tag schafften sie den Großteil des Wegs, und Vela konnte den Nordwind auf ihrer Haut spüren. Nein, gegen das
Fliegen hatte sie nichts, es war nur der Vogel. Den Wind begrüßte sie mit einem Lächeln, und er ergriff ihr Haar.
    An diesem Abend nächtigten sie nördlich von Sanjorkh, der Vogel war im Westen an der grauen Wolke vorbeigeflogen. Auch dieses Mal verschwand er über Nacht, um am Morgen wieder aufzutauchen.
    Am frühen Nachmittag lag der Rauschwald vor ihnen, sie erkannten ihn an den dunklen Bäumen und seinen gewaltigen Ausmaßen, denn kein anderer Wald konnte sich mit ihm messen. Als sie direkt über ihn hinwegflogen, verlor der Klippengeier eine glänzende Feder. Kurz darauf schoss ein Pfeil durch die Luft, der zwar auf sie zuhielt, sie aber nicht erreichte. Sie flogen einfach zu hoch.
    Das war wohl die Art,wie Mutter und Tochter Nachrichten austauschten. Vela war ganz froh, dass sie nicht durch den Rauschwald hindurchmussten, sie verspürte keine große Lust, Serpem zu erklären, wie die Begegnung mit ihrer Mutter verlaufen war. Und auf eine erneute Begegnung mit einer Baumfaust war sie auch nicht erpicht. Solange sie über den Bäumen waren, juckte ihr Hexenmal.
    Am frühen Abend, kurz hinter dem Rauschwald, setzte der Vogel zur Landung an. Er hätte die Strecke bis zur Stadt noch geschafft, aber zu Fuß war der Weg für Vela und Cephei immer noch zu weit.
    »Ob er nicht näher an die Stadt will und nun ganz verschwindet?«, mutmaßte Cephei.
    »Weiß nicht, kann sein. Lass uns ein Feuer machen. Morgen gehen wir dann eben den Rest zu Fuß.«
    Sie taten, was sie schon an so vielen Abenden zuvor getan hatten, aber an diesem war die Stimmung irgendwie anders. Sie
waren beide schweigsam, es wurde ihnen bewusst, dass dies der letzte Abend war, den sie so verbringen würden. Genau deshalb wollte Vela nicht mit Cephei darüber reden. Sie hätte ihn vieles fragen können: Ob er zurück in das Gasthaus wollte, was er jetzt überhaupt vorhatte und so weiter, aber sie traute sich nicht. Doch sie spürte die Blicke, die er ihr zuwarf, und wusste, dass ihm dasselbe durch den Kopf ging.
    Als er sprach, klang seine Stimme leise. »Wenn das mit dem Schlüssel funktioniert, sollten sie vielleicht gleich ein paar nachbauen lassen, nur für den Fall, dass wieder mal einer verschwindet.«
    »Keine schlechte Idee.«
    »Komisch, dass noch niemand darauf gekommen ist.«
    »Es ist eben der Königsschlüssel«, sagte sie und hörte, wie seltsam das klang, weil es eigentlich gar nichts aussagte. Aber sie wusste nicht, wie sie dieses Gefühl beschreiben sollte: die Ehrfurcht, die sie vor dem Schlüssel hatte und auch vor dem Mechanischen König. Weil er eben schon immer da gewesen war. Bis vor kurzem hatte sie noch geglaubt, das würde für immer so bleiben. Der König brauchte kleinere Reparaturen, hier und da ein bisschen Schmieröl oder eine ausgewechselte Schraube, wenn ein Bein quietschte und klemmte, aber das war doch nichts Ernstes gewesen. Hatte ihr Vater jedenfalls immer behauptet.
    »Außerdem«, fuhr sie fort, »wissen wir doch gar nicht, ob es überhaupt klappt.«
    »Ja, aber wenn«, er sah auf einmal aufgeregt zu ihr rüber, »dann könnten wir doch gleich ein ganzes Dutzend Schlüssel herstellen, vielleicht erfinden sie einen neuen Posten: Schlüsselaufpasser. Das könnte ich dann werden, glaubst du nicht?«
    Sie musste lachen. »Du kannst den König ja fragen. Aber eigentlich
ist der

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