Der Königsschlüssel - Roman
etwas zu berichten?«
»Nein.« Beschämt sah sie zu Boden. »Du kommst trotzdem weiter mit?«
»Glaub bloß nicht, dass ich deinetwegen mitkomme.« Mit einem Ruck machte er sich von ihr los. »Ich mach das für den König. Damit er mich belohnt, wenn wir ihn retten. Aber vergessen ist die Sache deswegen nicht.«
Sie nickte und warf ihm vorsichtige Blicke zu, während er
weiterstapfte. Dabei war er längst nicht so entschlossen, wie er tat. Der Traum hatte ein drückendes Gefühl in seinem Magen hinterlassen, das er nicht abschütteln konnte. Aber Abenteuer wurden nicht einfach so abgebrochen, das war in Urs’ Geschichten nie vorgekommen und auch in keiner anderen, also lief er weiter. Außerdem mussten sie dringend ihre Vorräte auffüllen. Die Landschaft auf der anderen Seite der Ruinenstadt wurde zwar grüner, blieb aber dennoch karg. Büsche mit kleinen Blättern, die sich zusammenrollten, wenn man sie berührte, säumten festgestampfte Erdwege. Vereinzelt standen Bäume, aber es dauerte bis zum Nachmittag, bis sie das erste Feld erblickten.
Selten konnten sie anwenden, was Urs ihnen beigebracht hatte. Als sie endlich eine Quelle fanden, stürzten sie sich darauf, tranken gierig von dem klaren Wasser und spülten den Dreck von Sanjorkh ab, der überall zu sitzen schien. In ihren Haaren, den Ohren, der Nase und selbst unter den Augenlidern.
In der Nähe der Quelle entdeckten sie auch essbare Wurzeln, ein paar Früchte, Pilze und Beeren. Es schmeckte zwar nicht wie im Rauschwald, manchmal glaubte Cephei sogar, Staub auf der Zunge zu spüren, aber es füllte die knurrenden Bäuche, und das war im Augenblick das Wichtigste.
Kurz darauf entdeckten sie am Horizont den ersten Bauernhof. Aufgeregt rief Vela: »Sieh doch!«, aber Cepheis Wut war noch nicht völlig abgekühlt, so dass er nur »Mhm« brummte. Die Stimmung zwischen ihnen blieb angespannt, auch wenn sich Vela alle Mühe gab, ihn nicht zu verärgern.
Als sie den Bauernhof erreichten, rannte ihnen ein riesiger Hund mit schwarzem zotteligem Fell entgegen. Er war groß wie ein Kalb und bleckte die spitzen gelben Zähne, von denen Speichel troff. Doch ein kurzer Pfiff hielt das Tier davon ab,
sich auf sie zu stürzen, wofür Cephei ausgesprochen dankbar war.
Ein dunkelhaariger Junge mit zahlreichen Leberflecken auf den Armen und einer breiten Lücke zwischen den Schneidezähnen kam dem Hund hinterhergelaufen und betrachtete Cephei und Vela neugierig. Er musste etwa in ihrem Alter sein.
»Hallo«, sagte er und grinste.
»Hallo.«
»Wo kommt ihr her? Ich habe gar keine Händlerkarawane gesehen? Seid ihr vom Weg abgekommen?«
»So könnte man das auch nennen.« Cephei warf Vela einen Blick zu, den sie kurz erwiderte. »Wir kommen von der Nordseite des Rauschwalds. Kannst du uns sagen, ob wir auf dem Weg weiter nach Süden noch einmal eine größere Stadt passieren?«
»Von jenseits des Rauschwalds?« Der Junge schien beeindruckt. »Da seid ihr aber schon gut zu Fuß unterwegs gewesen. Sonst verirren sich kaum Menschen aus dem Norden zu uns. Nur die Handelskarawanen oder irgendwelche Gauner auf der Flucht.« Der Junge lachte. »Heute und morgen werdet ihr nicht viele Höfe passieren, so nah an Sanjorkh leben nicht viele Leute.« Er warf einen finsteren Blick auf die Ruinenstadt am Horizont, über der unverändert die große graue Wolke schwebte. »Die nächste größere Stadt ist Sternbruck, aber die liegt im Osten. Vom Süden weiß ich nichts.«
»Wir benötigen ein Lager für die Nacht«, sagte Vela. »Kannst du uns helfen?«
Nachdenklich sah der Junge zurück zum Hof. »Hier könnt ihr jedenfalls nicht bleiben. Flora ist krank, und die Braune kalbt gerade. Außerdem scheren wir morgen, da kann sich keiner um Gäste kümmern. Habt ihr Geld?«
Zögerlich nickte Vela.
»Dann versucht es die Straße runter beim alten Kiesgard, der hat genug Platz und ist es gewohnt, dass Händler bei ihm nächtigen. Für ein paar Münzen kriegt ihr vielleicht sogar ein Strohlager und eine Mahlzeit.«
Ein zweiter Pfiff ertönte, und als sie zum Hofeingang schauten, stand dort ein kräftiger Mann, in dessen lockigem Haar sich ein paar Strohhalme verfangen hatten und der dem Jungen ungehalten winkte.
»Ich muss zurück. Viel Glück euch beiden.« Hastig rannte er davon, und der Riesenhund folgte ihm.
Sie machten sich wieder auf den Weg, die Straße wurde breiter und wirkte ein wenig befahrener. Schon nach wenigen Minuten sahen sie einen weiteren Hof vor sich
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