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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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Porzellan, in der sie immer kalten Hagebuttentee gefunden hatte, wenn sie aus der Schule kam. Nie war sie enttäuscht worden, wenn sie die umgedrehte Untertasse herunternahm, nie sah sie die Mutter Hagebuttentee kochen. Es schien eine Zaubertasse zu sein, in der ständig kalter Hagebuttentee nachwuchs und die ihr stets goldverschnörkelt zurief: Los, sei glücklich! Sei doch endlich glücklich!
    Sie hat den Hausstand ihrer Mutter fast komplett auf den Müll gekippt. Der Vater hatte keinen Finger gerührt. Er hatte an seinem Schreibtisch gesessen, als sei nichts geschehen, als sitze die Mutter in der Stube über den Handarbeiten und sei gar nicht gestorben. Und nun, Jahre später, hatte Sonnie den Koffer eines Fremden nach Hause geschleppt. Hatte damals jemand die Dinge der Mutter aufgelesen und sich dieselben Fragen gestellt? Warum schmeißen wir unseren eigenen Ballast weg und fischen den anderer aus dem Dreck?, denkt sie. Ist es leichter, in anderen Leben herumzuwühlen?
    »So eins hatte ich auch.« Rhett greift nach dem Taschentuch und lässt es wieder in den Koffer fallen.
    »Kakerlaken übertragen Infektionskrankheiten«, murmelt er. »Gibt es so was heute noch? Wieder verwendbare Taschentücher?«
    In Rhetts Koffer wäre also ein Stofftaschentuch, denkt Sonnie. In einem unbeobachteten Moment schüttet sie den dünnen Kaffee weg und setzt neuen auf.
    »Ich glaube nicht«, ruft sie. »Mein Großvater hatte solche. Ich weiß noch, ich hab die immer gebügelt und gefaltet als Kind. Aber es hat nie gepasst, ein Zipfel war immer länger, der, an dem sie aufgehängt waren. Wir haben damals die Wäsche an Wäscheleinen getrocknet, mit Klammern dran.«
    Rhett lacht auf. »Du tust ja geradeso, als käme ich vom Mars. Aber so ist es ja offenbar auch. Männer vom Mars, Frauen von der Venus.«
    Männer vom Mars, Frauen von der Venus.
    Rhett spielt auf einen Buchtitel an, den letzten Bestseller, den Sonnie nach Deutschland verkauft hatte. Ein furchtbares Buch. Rhett hatte es von ihrem Hotelnachttisch genommen und in einer Nacht gelesen. »Ich dachte, Paare machen so was, dieselben Bücher lesen«, hatte er gesagt. Er musste sie verwechselt haben. War es nicht vielmehr ausgemacht, dass keiner des anderen Kreise störte?
    Sie sieht ihn an. Da sitzt er, der Marsmensch, in sich zusammengesunken. Eben war er noch fröhlich. Jetzt starrt er. Jetzt ist er abwesend, weit weg, dort, wohin er sie noch nie mitgenommen hat.
    »Irgendeine spezielle Erinnerung?«
    Rhett schüttelt den Kopf. Mit dem eigenartigen Gesichtsausdruck, der ihr stets alle Türen zu ihm verschließt.
    You look like a normal person, but actually you are the angel of death.
    »Es ist mir unheimlich«, sagt er, im selben Moment, als sie denkt: Er ist mir unheimlich.
    »Warum?«
    Rhett antwortet nicht. Er nimmt das von Brandflecken durchlöcherte Seidentuch. Er riecht daran, wie Sonnie zuvor an dem Taschentuch gerochen hat. Er steckt seine Nase hinein, deren Rücken rund ist wie ein gespannter Bogen. Er scheint die Kakerlaken vergessen zu haben. Seine Gesichtskonturen haben jetzt etwas Scharfes, Kriegerisches.
    Unsere Gedanken treffen sich nicht, denkt Sonnie. Unsere Seelen treffen sich nicht. Diese Stille. So feindselig. Ich muss etwas sagen, denkt Sonnie. Ich muss etwas fragen.
    »Ob das An-Dingen-Riechen ein Impuls ist, den wir von den Affen behalten haben? Obwohl unser Verstand uns sagt, dass uns kein angenehmer Duft erwarten wird?«
    Rhett lächelt halbseitig. Er geht Händewaschen. Als er zurückkommt, ist er wieder bei sich. Aber ist er bei ihr?
    »Genau. Mendelt sich durch. Kennst du den Witz, wo der Vater dem Sohn sagt, man muss die Frauen dort küssen, wo es stinkt?«
    »Nein, und ich will ihn auch nicht hören.«
    Rhett und Witze. Sonnie wirft sich in seine Richtung und hält ihm den Mund zu. Vielleicht ist er nicht bei ihr, aber sie ist bei ihm. Er brabbelt durch Sonnies Hand. »Der Junge bringt seine Freundin zu einer Jauchegrube und küsst sie dort.«
    Sie verlieren das Gleichgewicht und fallen um. Vereinzelte Lacher, dann Ratlosigkeit. Sonnie macht sich los und wühlt nach der Autogrammkarte.
    »Du hörst doch so Sachen, Jazz. Kennst du den?«
    »Zeig mal her … Jacques Cohen, international trumpete r. Sagt mir jetzt nix.«
    »Der Koffer eines Jazzfreundes …«
    »Nicht unterschrieben.«
    Rhett steht auf und läuft zum Bücherregal, dem bisher einzigen Möbelstück in der Wohnung. Im Bücherregal stehen überwiegend Rhetts Bücher, Sachbücher,

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