Der Koffer
anderen Ende der Leitung Sashimi und Tempura, dazu kalten Sake. Er hält den Hörer zu.
»Last call! Willst du was oder nicht?«
»Nope.«
»Aber dass mir nachher keine Klagen kommen!«
»Nope.«
Ihr Hunger bäumt sich auf, wird aber sogleich abgelöst von einem Ziehen in der Leistengegend. Sie erschrickt. Vermutlich, hoffentlich, ganz sicher kämpft sich gerade ihre Periode durch. Der Natur auf die Sprünge helfen, denkt sie. »Beißt mich nur«, raunt sie ihren Eingeweiden zu, »zwickt mich nur!«
Rhett nähert sich wieder und schlingt von hinten die Arme um sie.
»Ob er noch in Paris lebt?«, fragt Sonnie.
»Jetzt mal unter uns, Sonnie, wen interessiert’s?«
»Mich!« Sie macht sich steif in Erwartung seiner Erektion. Er hat ihre Erwartung noch nie enttäuscht.
Sie sehnt sich regelrecht nach einer Enttäuschung ihrer Erwartung. Sie sehnt sich danach, wie man sich nach der Ausnahme von der Regel sehnt. Aber es gibt keine Ausnahme mehr.
Rhett starrt auf die in ihrer Hand verbliebenen Fotos.
»Sag mal, was ist denn das?« Sein Interesse ist schlagartig wach. Er lässt Sonnie fahren.
»Das ist … oje … das sind ja Pornobilder«, stammelt Sonnie.
»Von ihm? Ich meine, ist Cohen drauf? Zeig doch mal.«
Sie zieht die Bilder weg. »Wie du eben sagtest: Wen interessiert’s?«
Rhett schnappt nach den Bildern. »Hm, sehen ja nicht sehr professionell aus. Ob er sie selbst geschossen hat?«
»Ach ja, sie sehen nicht professionell aus, ja? Wie sehen denn professionelle Pornobilder aus?«
Rhett grinst.
»Besser!«
Er schüttelt anerkennend den Kopf und lacht, wie es Männer tun, wenn sie etwas honorieren, das andere Männer getan haben. Mord, Vergewaltigung, Bankraub, Seitensprung. Als wollte er sagen: So ein Schlingel aber auch!
Sonnie reißt ihm die Fotos aus der Hand.
»Unappetitlich«, sagt sie. Sie wirft sie mit Schwung zurück in den Koffer, den unseligen. Hätte sie ihn nur dort gelassen, wo er hingehört, im Müll!
Hättehättehätte.
»Ach, Sonnie, bitte, sei nicht verklemmt«, haucht Rhett ihr ins Ohr, tätschelt ihre Brust, das schöne Brüstchen, schubst sie in ein Rollenspiel. Da ist er auch schon, der Dorn. Diesmal ein Nierendorn. Er hat nichts mit ihr zu tun.
Sie stößt Rhett weg. »Macht dich das an, ja? Macht dich so was an? So ein Dreck?«
»Sweetie, seit wann sind erotische Fotos Dreck?«
»Erotische Fotos? Erotische Fotos? Wenn Leute für die Kamera …? Und nenn mich nicht Sweetie.«
You are a human affront to all women and I am a woman.
»Was? Was denn? Du kannst ja nicht einmal Fotze sagen. Du kannst ja nicht einmal Ficken sagen. Sag es. Sag es. Fotze! Ficken!«
»Ich sehe keine Veranlassung.«
Der Streit bewegt sich in konzentrischen Kreisen nach außen, die klassische Variante eines Streits in einerBeziehung, die schon bessere Tage gesehen hat. Angefangen bei ihrer Verklemmtheit und seiner ewigen Geilheit, endend bei dem, was Männer eben brauchen und was Frauen eben verstehen müssen.
Rhett ist wortkarg und vernuschelt. Sonnie ist emotional oder, wie Rhett es nennt, irrational. Das kränkt sie, und sie kränkt ihn. Er lächelt halbseitig, mit kaltem Blick. Der eigentliche Anlass des Streits wird verlassen. Was ich dir schon lange mal sagen wollte. Was ich dir schon hundertmal gesagt habe.
Dann geht die Tür im Treppenhaus. Es nähern sich Schritte. Es klopft. Ein Asiate. Er hat einen kastenförmigen Igelschnitt auf dem Kopf. Er hält Rhetts Sushi-Lieferung im Arm. Er ist atemlos.
Rhett hat den Streit im selben Moment vergessen. Die stärkere Sensation ist der Hunger. Fütterungszeit. Er will auf dem neuen Sofa sitzen und Sushi essen, so oder so.
»Fahrstuhl kaputt«, keucht der Bote.
»Sorry«, murmelt Rhett und erhöht das Trinkgeld.
VIERTES KAPITEL
Es sind drei Pornobilder. Sonnie hat sie heimlich mit ins neue Bett genommen. Als sie an Rhett vorbeiging, hat sie auf seinem Rücken Kratzer gesehen.
Sonnie greift nach der Fernbedienung. Sie drückt auf den roten Pfeil. Das Gewebe unter ihr strafft sich. Das Bett wird härter. Sonnie hört auf, als eine 50 auf dem Display der Fernbedienung steht.
Sie hat auch eine Flasche Rotwein mitgenommen. Sie hat die Rachmaninoff-CD mitgenommen und ihren Discman. Sie setzt den Kopfhörer auf. Sie drückt auf PLAY. Der erste Satz des 2. Klavierkonzerts. Sie trinkt das erste Glas Rotwein. Sie betrachtet das erste Foto.
Ein Mann und eine Frau knien einander zugewandt auf einem Bett, der Mann links, die Frau rechts. Sie
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