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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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wie sie. Er war eifersüchtig gewesen, weil sie nichts mehr im Kopf zu haben schien als den Koffer. Er war gekränkt gewesen. Er hatte sie gekränkt. Jetzt stand er wortlos da, und die Nacht lag zwischen dem Streit, die erste Nacht im neuen Bett, im Schlafnummer-Bett, und sie hatten sich voneinander abgewandt, sie hatten einander die ganze Nacht nicht berührt, nicht einmal aus Versehen. Er hatte Albträume gehabt, die üblichen, Scheiterhaufen, Todeszellen, ertrinken, erfrieren, ermordet werden.
    Kurz kommt ihm die Idee, zu Birne Helene zu gehen und das Bett zu reklamieren, aber er verwirft sie.
    Ich war verrückt nach dir, hatte sie gestern gesagt. Damals war ich verrückt nach dir.
    Die Psychiater seines Lebens haben Rhett bescheinigt, dass Verdrängung einer seiner gesündesten Reflexe ist. Rhett hält Verdrängung für den eigentlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Ein Schutzschild der Hochzivilisation. Was man im Nachhinein nicht bespricht, das ist auch nicht passiert. Was gestern war, das soll man ruhen lassen.
    Morgens hatte Sonnie den Koffer geöffnet. Gleich als Erstes. Alles beim Alten. Der Rest war Ausgeburt ihrer Fantasie. Sie hatte die Pornobilder zurückgestopft und den Koffer mit nackten Füßen unters Bett getreten.
    Der Koffer. Ihr Koffer. Sonnie hatte auch einen Koffer besessen. Sie hatte diesen kleinen grau karierten Stoffkoffer mit nach Amerika gebracht, und sie hatte ihn über die ersten beiden Jahre gerettet. Ihre Schlenkerpuppe, ihr abgegriffenes Storm-Märchenbuch, die vom Großvater geschnitzte Flöte, schwarze Scherenschnitte, ein Weihnachtsbaum, ein Männerprofil, eine Prinzessin, rosa Mädchentagebücher mit vergoldeten Schlössern. Jetzt weiß sie es wieder. Aber wann und warum hatte sie den Koffer verloren? Hatte sie ihn auf die Straße gestellt so wie der Koffermann? Hatte ihn jemand gefunden so wie sie?
    »Es ist übrigens das 2. Klavierkonzert im Film«, sagt er. Rhett drückt ihr den Stempelmund auf. Rhett setzt sich den Borsalino auf. Er ruckelt den Borsalino auf dem Kopf zurecht.
    Dieses Rätsel, mit dem sie zusammenlebt.
    Es ist ein Mythos, dass Geheimnisse Menschen aufwerten. Sie weiß jetzt, was es zu tun gilt.
    Who are you really? What were you before?
    Es gibt keine Regel, die sie aufgestellt hätten. Dazu ist ihr Zusammenleben zu neu. Dazu ist ihre Beziehung zu liberal. In den Jahren der Konspiration mit Rhett hatte Sonnie ihre Neugier bezähmt. Sie hatte nie in seinen Hosentaschen gewühlt, wenn er unter der Hoteldusche stand. Warum auch? Sie war ja die Betrügerin, Joy war die Betrogene. Die Diskretion gab Sonnie das Gefühl von Reife. Dies soll eine Beziehung zwischen Erwachsenen sein, mit der spöttischen Distanz bereits gelebten Lebens.
    Nun kommt ihr diese Diskretion kindisch vor. Muss man sich nicht über das Bekannte verständigen, um gemeinsam ins Unbekannte zu gehen? Sonnie kennt sich nicht, aber sie will sich kennen lernen. Sie kennt Rhett nicht, aber sie will ihn kennen lernen. Wer niemals Fragen stellt, denkt Sonnie, löscht sich aus.
    Sie nähert sich Rhetts Schreibtisch. Er ist dunkel und klobig wie der ihres Vaters. Sie zieht die Schubladen wie Register. Sie sucht, ohne zu wissen, wonach.
    Sonnie stapelt Kunsthefter von Studenten um. Sie nimmt Kopien aus Hüllen. Sie blättert ein eselsohriges Notizbuch durch. Kopflose Strichmännchen. Mit Kuli ausgemalte geometrische Figuren. Kostenaufstellungen. Gekritzel:
    »Avignon ist Picassos Eroica – »Guernica« ist seine Neunte????«
    »Gott ist ein Künstler«, Picasso.
    »Picasso ist ein Pfuscher«, Gott.
    Ob Rhett ein Psychopath ist? Er hatte immer das Thema gewechselt, wenn die Rede auf Picasso kam,oder einfach geschwiegen. Muss man sich für den Beruf des anderen interessieren? Kann man nicht anderes teilen? Sonnie fragt sich, was Rhett und sie eigentlich teilen. Sie denkt lange darüber nach. Eine Wohnung. Ein Schlafnummer-Bett. Zu pappigen Toast. Zu dünnen Kaffee.
    Es ist zwei Jahre her, dass sie Rhett im Museum of Modern Arts besucht hatte. Spontan besucht hatte. Sie hatte ihn überraschen wollen. Immerhin war sie eine Frau, bei der man nie wusste. Doch er hatte sich nicht gefreut. Seine Augen flackerten, als er, vom Pförtner gerufen, herunterkam, um seinen Gast abzuholen. Sie waren schweigend durch viele hochgesicherte Türen in das lichtdurchflutete Atelier gelaufen. Seine Reserviertheit, sein Unbehagen, hatten sich auf Sonnie übertragen. Sie hatte sich schrecklich unwillkommen gefühlt. Sie

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