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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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halb nackt. Sie fühlt das Blut in ihre Ohren schießen. Sie zerrt mit dem gesunden Arm das Hemd runter. Die Naht reißt, weil Sonnie so zerrt. Da steht sie nun, in einem Herrenoberhemd, mit ihrem fetten Arsch, vor einem mit Schaum bedeckten nackten Paar.
    »Ho Brauner«, sagt Chola. »Wir sind’s bloß. Kannst gern reinkomm. Wär ja nix Neues.«
    Sonnie starrt. Dass Chola das erwähnt! Das war doch nichts. Und es ist schon so lange her. Es war doch nur Spaß. Es hat sich so ergeben. Sie waren alle betrunken gewesen damals, Chola, der Börsenmakler Bill Thorne und Sonnie. Ja, sie hatten sich alle drei in die Wanne gequetscht. Dabei waren zwei schon zu viel gewesen. Ja, Chola und sie hatten Thorne aufgeteilt, Sonnie die obere Körperhälfte, Chola die untere. Gut, Chola und Sonnie hatten einander geküsst, als Thorne sich ergossen hatte und eingeschlafen war und schnarchte. Sie waren aus der Wanne gestiegen und hatten den schnarchenden Thorne im Wasser liegen gelassen. Überall hatten sich Chola und Sonnie geküsst. Und berührt. Und mehr geküsst. Und mehr berührt. Sie waren betrunken gewesen. Sie hätten es mit weißen Mäusen getrieben. Es war ein Spiel gewesen. Es hatte nichts bedeutet. Sie hatten nie wieder darüber gesprochen. Was gab es da auch zu besprechen? Passiert, vorbei, vergessen. Es hatte ihrer Freundschaft weder geholfen noch geschadet. Es war nichts.
    »Weiß nicht, wovon du sprichst.« Rückwärts schiebt sich Sonnie aus dem Bad. »Muss los.«
    »Wo gehst ’n hin?«, ruft Chola. »Windhund oder Clooney?«
    Sonnie antwortet nicht.
    Sie rafft ihre Sachen zusammen.
    Sie zerrt die Bluse über den Gipsarm.
    Türknall.
    Im Portemonnaie siebzehn Dollar. Sonnie manövriert ihren Gipsarm durch die Schranke. Sie zieht die Metrocard durch. Sie steigt in die Subway. In der Subway sitzen fünf Rastamänner und verprügeln umgedrehte Marmeladeneimer. Immer lauter. Immer schneller. Rumbum. Rumbum. Rumbum. Sonnie hält sich die Ohren zu.
    Sie sieht sich um. Der Lärm scheint niemanden außer ihr zu stören. Was für eine Tortur, diese Stadt, diese Scheißstadt, denkt Sonnie und hasst New York. Hasst New York abgrundtief. New York, diese Bestie, die den Schwächsten verschlingt. New York, diese Schneekönigin, die die Herzen der Menschen zu Eiszapfen macht und ihre Ohren taub und ihre Augen blind, die nichts ist als eine lächerliche Kulisse, durch die sich Touristen und Bewohner schieben.
    Sonnie fühlt sich auf einem abgelegenen Gletscher ausgesetzt.
    I think someone should just take this city and flush it down the fuckin’ toilet.
    Sie war blind. Sie hat mit einem Schattenmann gelebt und es nicht gemerkt. Rhett scheint außer dem Leben mit ihr noch andere Leben zu leben. Alle, rumbum, das Vater-Leben, rumbum, das Retter-Leben, rumbum, das Sohn-Leben, rumbum, das Liebhaber-Leben,hält er strikt voneinander fern, stellt die einzelnen Leben unter Quarantäne, als könne zwischen ihnen eine Seuche ausbrechen. Daher sein Schweigen, daher das Ungefähre. Oder ist er schizophren? Oder ist sie paranoid?
    Sie steigt aus. Sie nimmt einen Bus vom Union Square.
    »Tennisarm, Lady?«, fragt der Busfahrer. Er hat blondiertes Haar. Er lacht sie an mit gebleichten Zähnen. Sie lacht zurück. Er ist Mitte zwanzig. Wie viele junge Männer es gibt, die mich wahrnehmen, denkt Sonnie. Wo waren die nur bisher? Hitze steigt ihr ins Gesicht. Sie hat es mit einem Arzt auf einer Krankenhauspritsche gemacht, wie ein Flittchen, wie in einer Seifenoper. Wenn ich es mit einem Arzt auf einer Krankenhauspritsche mache, denkt Sonnie, warum nicht genauso gut mit dem Busfahrer im Fahrerhäuschen?
    Der Liquor Store hat kalifornischen Chardonnay im Angebot. Sieben Dollar plus Steuer. Sonnie kauft zwei gekühlte Flaschen. Sie zählt ihr letztes Geld hin. Der Indio an der Kasse zwinkert ihr zu. Eine Flasche Weißwein hat früher eine Woche lang gereicht. Jeden zweiten Tag ein Glas Wein. Doch dann ist ihr Weinverbrauch graduell hochgegangen. Er wuchs zeitgleich mit Jakes Impotenz. Das Gefühl, ein Glas Wein trinken zu wollen, war dem Gefühl, ein Glas Wein trinken zu müssen, gewichen. Trank sie ein Glas Wein, war sie von Unruhe erfüllt, ob noch genug für ein zweites und drittes in der Flasche sei.
    Die Streits zwischen Jake und ihr fühlte sie kommen. Immer öfter hatte sie sich bei dem Gedanken erwischt, dafür zu nüchtern zu sein. Die Uhrzeit hatte sich stetig nach vorn verlagert. Es war schließlich schwer geworden,bis zwölf zu warten. Wenn

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