Der Koffer
er.
»Hast du es versucht?«
Rhett schüttelt den Kopf.
»Warum nicht?«
»Ich weiß nicht. Die Frage hat sich … so … nicht gestellt.«
»Wen möchtest du denn glücklich machen?«
Rhett schweigt.
»Hast du noch die Affäre mit der Deutschen?«
»Sonnie. Ja. Nein. Ich habe Joy verlassen. Sonnie und ich sind vor einem Monat zusammengezogen.«
»Gut. Du hast Verantwortung übernommen. Du hast eine Entscheidung gefällt. Und, wie ist es? Liebst du sie?« –
»Rhett?«
»Ja?«
»Wie ist das Zusammenleben?«
»Gut, es ist wirklich … gut. Also, für mich.«
»Arbeitest du mit den Affirmationen?«
»Sie helfen nicht.«
»Was hilft denn?«
Rhett schweigt.
»Immer noch deine Cowboyfantasien?«
Rhett schweigt.
»Immer noch die Fehde mit Picasso?«
»Ich rekonstruiere jetzt ein Bild von ihm«, sagt Rhett.
Ellis steht auf. Er gießt sich ein Glas Whisky ein. Er trinkt einen Schluck. Er räuspert sich. Er ist ein Abbild schlecht verborgener Wut.
»Rhett, du hast am Telefon von einem Notfall gesprochen. Unter einem Notfall verstehe ich als dein Psychiater, dass du in einer lebensbedrohlichen Verfassung bist, die ich vielleicht abwenden kann. Ich habe nicht den Eindruck, dass du in einer lebensbedrohlichen Verfassung bist.«
Ellis’ Stimme klingt gepresst. Rhett ist gekränkt. Die Lebensbedrohlichkeit seiner Verfassung wird angezweifelt. Er muss handeln.
»Sonnie ist … Sie ist weg.«
Mit diesem Satz tritt Rhett in seine Verzweiflung ein wie in eine große Halle. Das Elend. Er drückt es aus wie ein Furunkel. Es sprudelt aus ihm heraus. Der Koffer. Sonnies Hang zum Unrat. Gong und der Jade-Buddha. Bud Brown, Rachmaninoff. Das Rinderblut. Die Pornobilder. Das Eltern-Foto. Sushi und Kohlrabi.
»Bei welchem Schritt hast du aufgehört?«, fragt Ellis.
»Was für ein Schritt?«
»Das Zwölf-Schritte-Programm? Du erinnerst dich? Du hast mir versprochen, es durchzuziehen.«
»Ja, ich erinnere mich.« Rhett denkt mit einiger Qual an die Broschüre zurück, die ihm Ellis vor drei Jahren in die Hand gedrückt hat.
»Ich denke nicht, dass ich so was machen kann.«
»Warum denkst du … nicht, dass du so etwas machen kannst?«
»Ich als Intellektueller …«
»Rhett, bitte …«
»Ich als Atheist …«
»Mir haben die Schritte geholfen. Ich war kokainsüchtig«, sagt Ellis.
»Saufen tust du immer noch«, knurrt Rhett. »Sucht ist Sucht.«
Ellis räuspert sich.
»Du sollst die zwölf Schritte nicht analysieren, sondern gehen, Schritt für Schritt. Hast du die Broschüre noch?«
»Sicher nicht.«
»So ein Glück, ich hab noch eine.«
Ellis überreicht Rhett ein billig gebundenes blassgelbes Heft.
»Wir sollten uns wieder regelmäßig sehen«, sagt er, »vorzugsweise tagsüber. Du bist an einem Punkt angekommen, an dem du nicht länger weglaufen kannst.«
»Wem weglaufen?«
»Der Vergangenheit. Der Gegenwart. Der Pflicht. Dem Glück.«
»Warum bist du nicht Schlagertexter geworden?«
»Versöhn dich mit den Gespenstern.«
»Scheiße.«
»Wirklich! Ich meine das! Kennst du Sonnies Träume? Kennst du ihre Wünsche? Weißt du, womit du ihr eine Freude machen könntest? Weißt du, warum sie weggegangen ist?«
Rhett schüttelt den Kopf.
»Mach das Zwölf-Schritte-Programm. Mach dir Gedanken!«
Als sich die beiden Männer wenig später erheben, um einander die Hand zu schütteln, der lange Rhett und der kurze Ellis, hat sich der nachtschwarze Himmel morgenblau gefärbt.
Chola liegt auf der Wartebank zusammengerollt und schnarcht. Die Federn ihrer lila Boa fliegen.
Sonnie tippt sie an.
»Was …«
»Los, komm.«
»Biste jetz fertig?« Chola reibt sich die Augen. Sie haben nun einen dicken, verwischten schwarzen Mascara-Rand. »Wie spät ist es?«
»Weiß nicht, um vier?«
»Morgens? Und? Was hamse gemacht?«
»Blut abgenommen. Spritzen gegeben. Geröntgt. Zwischendurch immer warten.«
Chola sieht, dass Sonnies linker Arm im Gipsverband angewinkelt ist.
»Ach du Schreck!«
»Nix weiter. Nur zum Ruhigstellen. Sag mal, Chola?«
»Ja?«
Viele Fragen will Sonnie stellen. Aber sie fürchtet die Antworten.
»Kann ich bei dir pennen?«
»Klar. Los, nüscht wie weg hier.« Chola zieht einen blutroten Lippenstift aus der Tasche. »Haste mal ’nen Spiegel?«
»Nein.«
Sonnie hält einen Spiegel nicht für angebracht.
Chola malt ohne Spiegel. Sie malt ihren Mund noch größer. Sie sieht aus wie Madame Butterfly kurz vorm Harakiri. Sonnie versucht, das Nachtgespenst, das ihre Freundin
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