Der Koffer
Fernsehreporterin war jetzt deutlich zu hören. Sie sagte: »Willkommen in Bangkok, Björk.«
Zwei Männerhände schlingen sich um Sonnies Körper. Echte Hände. Schlanke Hände mit langen, feingliedrigen Fingern. Rhetts Hände. Sonnie fährt herum. Rhett steht vor ihr, rasiert, in Hemd und Jackett, mit gekürztem Haar, in einer Hand Blumen, in der anderen eine Tüte.
»Was ist denn mit deinem Arm passiert?«, fragt Rhett.
Sonnie hält das Handtuch mit dem Gipsarm am Körper fest. Sie schweigt feindselig. Rhett riecht nach Deodorant.
»Wo warst du? Ich hab mir Sorgen gemacht.«
Sie sagt kein Wort. Sie findet, dass Rhett ein Abbild schlechten Gewissens ist.
Stumm hält er ihr die Tüte hin. Es sind Kohlrabi drin. Kohlrabi. Ein Anflug von Rührung. Ein Schwindelgefühl. Ein kurzes Zusammenziehen des Magens. Ein Hauch von Kohlrabiduft. Der Großvater klappt sein rostigesMesser auf. Er setzt sie auf die samtigen Rillen seines Manchesterhosenknies. Er schneidet den Kohlrabi durch. Stockend fährt das schartige Messer durch das Gemüse.
Rhett räuspert sich wie einer, der gleich singt. Er singt aber nicht.
»Heirate mich«, sagt er.
Der Großvater hat den Kohlrabi durchgeschnitten.
Sonnie versteht nicht.
Der Großvater reicht ihr eine Kohlrabihälfte …
Was hat Rhett gesagt?
… Der Großvater beißt in die andere Kohlrabihälfte.
Hat Rhett nicht eben gesagt, worauf sie jahrelang gewartet hat?
Rhett ist frisch rasiert.
Er riecht nach Aftershave.
Er riecht nach Aftershave und Deodorant.
Er riecht wie ein polnischer Puff.
»Hast du mich gehört? Hast du mich verstanden?«
Rhett nimmt ihr Gesicht in die Hände.
Sonnie wischt seine Hände weg.
»Ich heiß ja nicht Nick«, sagt sie.
It’s easier to be killed by a terrorist than it is to find a husband over the age of 40!
Das Handtuch fällt herunter. Rhett schaut sie an. Perplex, als würde er zum ersten Mal im Leben eine nackte Frau sehen. Als würde er Sonnie zum ersten Mal nackt sehen. Er will sie umarmen. Sie dreht sich um. Sie läuft davon. Sie versucht nicht wie sonst, ihre Nacktheit zu verbergen, ihren Hintern zu bedecken. Sie läuft nackt herum und sucht nach Sachen, als wäre Rhett nicht da.
»Wo gehst du hin?«
I was just going to have some iced tea and split the atom.
»Sonnie, redest du nicht mit mir?«
Sie antwortet nicht. Sie muss los. Sie ist verabredet. Sie hebt nacheinander Pullover, Sweatshirts, Blusen hoch und wundert sich. Es ist, als ob die Männer und die Kleidungsstücke gleichermaßen an Jugend und an Form verlieren, sobald sie in ihren Besitz geraten. Und dann ihr Tempo. Sie hat mit Rhett alle Stadien im Zeitraffer durchlaufen: verlieben, verloben, heiraten, scheiden lassen. Im Grunde ist Rhett, obwohl noch ahnungslos, in diesem Moment schon ihr Ex.
Rhett ist Sonnie nachgelaufen. Sie ist so weit weg. Sie steht genau vor ihm, aber sie ist so weit weg. Er will sie an sich ziehen. Sie macht sich los. Sie schlüpft in einen fleischfarbenen BH. Sie lehnt sich gegen die Wand und bringt es fertig, den BH mit nur einer Hand am Rücken zu verschließen. Sie steigt in eine fleischfarbene Unterhose, die ihren Hintern mit strengem Klammergriff umfasst.
Sonnie will ein T-Shirt anziehen, aber ihr Gipsarm verheddert sich im Ärmelloch. Sie zerrt und dehnt, bis eine Naht reißt. Der Gipsarm schleudert etwas von einer Umzugskiste. Ein Klirren. Rhett sieht sich um. Die Sei-glücklich-Tasse. Sie ist zerbrochen. Sonnie hockt sich hin. Sie liest die Scherben auf. Sie fängt an zu weinen. Zum ersten Mal, seit sie sich kennen, weint Sonnie in Rhetts Gegenwart. Rhett hilft ihr aus dem kaputten T-Shirt. Er streichelt sie.
»Das tut mir Leid«, sagt er.
Jetzt ist alles kaputt, denkt Sonnie. Jetzt war alles umsonst.
Zusammen mit Gabi hat sie das Haus der Eltern entrümpelt, im Sommer 1994, gleich nach der Beerdigung. Der Vater hatte es so gewollt. Der Vater hatte Mutters Sachen weggewollt. Sonnie hatte stumm geräumt und gepackt. Gabi jedoch hatte jeden zweiten Gegenstand aufgehoben und betrachtet. So werden wir nie fertig, hatte Sonnie gesagt. Aber Gabi hatte ihr Tempo nicht geändert. Es hatte so ausgesehen, als sei sie betroffener vom Tod der Mutter als Sonnie selbst. Gabi wollte die weißen gestärkten Laken aus der Aussteuer der Mutter haben, Kissenbezüge, Tischdecken und Gardinen. Sonnie sagte, nimm den Kram doch. Doch als Gabi die Hand nach der Sei-glücklich-Tasse ausstreckte, regte sich alte Eifersucht.
Es hatte immer Sympathie
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