Der Koffer
ist der Koffermann so gestorben. Mit offenen Pulsadern. In der Badewanne. Nackt im Wasser, in dem sich rote Farbbatzen auflösten. Das Wasser erst heiß, dann lau, dann kühl. Das Wasser war erst rosa, dann pink, dann rot.
Sonnie zieht sich aus. Sie lässt die Sachen fallen, wo sie geht. Sie geht nackt auf dem alten Parkett. Sie klettert unter die Dusche und hält den Gipsarm wie einen Pumpenschwengel weg. Sie shampooniert ihre Haare umständlich mit der rechten Hand. Sie schließt die Augen. Sie lässt das Wasser sie streicheln. Das Wasser streichelt alles, worüber es fließt. Sonnie fährt mit ihrer Männerhand über ihren Frauenkörper, dem Wasser nach. Dann fahren viele Männerhände über ihren Frauenkörper, grobe und feine, große und kleine, weiße und braune und rote, behaart und unbehaart. Die Hände aller Liebhaber ihres Lebens liebkosen sie. Ihr Körper ist von unzähligen Männerhänden bedeckt.
Chola und Pushit in der Wanne.
Heißer Atem.
Heißer Atem. Nasse Haut. Warmes Wasser.
Sonnie dreht den Warmwasserhahn zu.
Das Wasser wird kalt.
Der Rappe mit dem Rosenblatt-Mund.
Clooneys schmale wasserfeuchte Hand.
Na so was, ein Nagetier!
Was macht sie da? Mit einem anderen Mann schlafen? Mit einem Fremden? Auf einer Behandlungsliege? Sie denkt an den saugenden, hungrigen, zungenlosen Kuss, an Clooneys nach vorn gestülpte nuttige Lippe.
Sie ist wütend, wütend über Rhetts Verschleierung, die Lügerei, die Verkapselung. Sie ist wütend, weil sie kein Teil von all dem ist. Sie ist eifersüchtig auf Rhetts Geheimnisse. Jetzt hat sie auch eins.
Sonnie tritt aus der Dusche. Sie steht vor dem Badspiegel.
How singularly innocent I look this morning.
Sie zuckt zusammen. Eine Ohrfeige. Ihre Wange brennt. Das war keine Männerhand. Das war eine Frauenhand. Knotig. Kühl. Mit mütterlichem Schwung.
»War Vater dein einziger Mann?«, hatte sie die Mutter gefragt, als sie sechzehn war. Sie weiß bis heute nicht, wie ihr diese Ungeheuerlichkeit über die Lippen kommen konnte. Wie unter Schock hatten sie einander gegenübergestanden, die harsche Mutter und das erblühende, ehemals dicke Kind. Wie in Zeitlupe hatte die Mutter die Hand gehoben und sie geschlagen. Wieder hatte sich Sonnie unfassbar geschämt. Sie schämt sich immer noch, sie schämt sich, sie steht unter der Dusche und schämt sich. Aber was hatte diese Ohrfeige bedeutet? Hatte sie Ja bedeutet oder Nein? Hatte die Mutter zugeschlagen, weil sie sich ertappt fühlte? Weil es ihr unangenehm war, nur einen Mann gehabt zu haben? Wollte sie Sonnie in die Kindheit zurückschlagen? Sie einfach zum Schweigen bringen?
Sonnies Scham verwandelt sich in Zorn.
Sonnie hebt die Hand.
Das schöne Händchen, Sonja.
Sonnie ohrfeigt die Mutter.
Es ist zwanzig Jahre her. Die Mutter ist seit zehn Jahren tot.
Warum schlägt Sonnie eine Tote?
Sie erinnert sich wieder an den Abend bei Barney, als sie Rhett kennen lernte. Eine junge Frau mit einem niedlichen Hamstergesicht hatte still am Kopfende der Tafel gesessen. Sie hatte keinen Truthahn gegessen. Sie hatte nicht gesprochen. Sie hatte nur verlegen gelächelt. Das Hamstergesicht war Sonnie bekannt vorgekommen.
»O, das ist Barneys Freundin, Björk«, hatte Rhett gesagt.
»Die Sängerin, die immer so jault?«
»Ja, aus Island.«
Sonnie wusste sofort wieder, wo sie das niedliche Hamstergesicht zum letzten Mal gesehen hatte. In einer Fernsehsendung namens Paparazzi . Es war um gewalttätige Stars gegangen, um Prominente, die auf Reporter einschlagen, auf Fotografen, Kameraleute. Der erste Teil der Sendung war Cher gewidmet gewesen. Er zeigte sie in einer Motorradkluft aus Leder, in ihrem Heimatdorf, wo sie in die Büsche sprang und den Paparazzo anschrie, verfluchte und schlug. Als sie wütend von dannen zog, hörte man ihn Freudenschreie ausstoßen. Unglaubliches Material war ihm da in die Hände gefallen. Nach der Werbepause hatte man den Flughafen Bangkok gesehen und wie jene Sängerin mit dem niedlichen Hamstergesicht,die Sonnie am Dinnertisch schräg gegenübersaß, dort ankam.
Ein Kamerateam erwartete sie. Eine junge Reporterin hielt ihr lächelnd ein Mikrofon ins Gesicht. Sie sagte etwas.
Björk hatte daraufhin ausgeholt und die Reporterin niedergestreckt. Sie war auf die liegende Reporterin gesprungen und hatte auf sie eingeschlagen.
Die Szene wurde zurückgespult, und der Sprecher sagte: »Nun wollen wir mal wissen, was Björk so wütend gemacht hat.«
Die Stimme der lächelnden
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