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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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Schnaps.«
    Er nimmt die Gläser in Empfang. Ein Schwall von Speichel schießt ihm in den Mund.
    Ihr heller Kopf und ihr schöner Arsch.
    Er trinkt beides weg.
    Im »Three Angels Deli« kauft Chola zwei Sixpacks Heineken und zwei Schachteln Lucky Strike.
    »Waaas? Neun Dollar die Schachtel?«, ruft sie.
    »Zeit, aufzuhören«, sagt der Verkäufer, ein junger Sikh.
    Time to stop.
    Sie laufen zum Park. Sie setzen sich auf den Brunnenrand. Chola öffnet zwei Dosen und stopft sie in Papptüten.
    Sonnie ist froh, dass Chola schweigt.
    Sie stoßen mit den Papptüten an. Sie trinken.
    Einmal Botox in den Uterus bitte, denkt Sonnie.
    »Siehste die?«, sagt Chola und zeigt auf eine alte Frau. »Die hat sich eines Tages gesagt, ach was, jetzt hör ich auf mit ’m Mist, mit ’m Haarefärben und Absätzetragenund unbequeme BHs und Schminke. Jetzt bin ich ’ne Oma.«
    Die alte Frau hat graue, dünne Haare und ein ungeschminktes, faltiges Gesicht. Sie trägt ein Sweatshirt, eine Jogginghose und Sneakers.
    »Ich kann das nicht«, sagt Cola. »Ich schieb den Tag immer wieder raus.«
    Sonnie versucht, sich Chola als Oma vorzustellen. Sie versucht, sich ihre Großmutter in diesem Aufzug vorzustellen. Sie prustet los. Sie verschluckt sich. Sie lacht. Sie lacht Tränen. Sie gleitet übergangslos ins Weinen.
    Chola legt ihr den Arm um die Schulter.
    »Arme Socke«, sagt sie. »Heul’s raus.«
    »Würd gern das Balg rausheulen.«
    Chola zündet zwei Zigaretten an und steckt Sonnie eine in den Mund. Die zweite will sie sich zwischen die Lippen stecken, aber sie fällt immer wieder raus.
    »Scheiße. Taub«, murmelt sie.
    Sonnie sieht sie an. »Was ist mit deinen Lippen los?«
    »Modell Jolie. Nach zehn Botox-Behandlungen gibt’s Lippe umsonst. Die haben diese Stempelkarten, wie nach dem Krieg. Ach, da fällt mir ein …«, sagt Chola, »vielleicht nicht der richtige Moment, aber …«
    Chola zieht einen Zettel aus der Tasche.
    »Dein Geschenk«, sagt sie.
    Ein Gutschein für eine Botox-Behandlung.
    Sonnie lacht bitter.
    Für nüschte.
    »Du hast es gut«, sagt sie. »Du bist frei. Du hast junge Liebhaber. Du kündigst einen Job, wenn du keine Lust mehr hast. Du lässt dir die Lippen aufpumpen, bis sieplatzen. Du kannst entscheiden, nie eine Oma zu werden. Wer zwingt dich, eine Oma zu werden? Du hast keine Verpflichtungen, keine Kinder …«
    »Pssssst«, Chola legt ihr den Finger auf den Mund. »Weißte, was das Schönste ist an der Freiheit?«
    »Was?«
    »Die Sehnsucht.«
    »Sehnsucht wonach?«
    »Weiß nicht. Zu jemandem zu gehören.«
    »Du willst zu jemandem gehören?«
    »Kommt vor.«
    »Aber du schickst doch deine Liebhaber in die Wüste?«
    »Ich schick sie weg, wenn sie flügge sind. Danach fühl ich mich einsam.«
    »Echt?«
    »Echt.«
    »So was hab ich noch nie aus deinem Mund gehört.«
    »Was?«
    »Sehnsucht. Zu jemandem zu gehören. Einsam. Klingt komisch aus deinem Mund.« Aus deinem geschwollenen Mund, denkt Sonnie.
    »Tja.«
    Es muss fünfzehn Jahre her sein. Sonnie lief die Amsterdam Avenue hoch. Im Sackkleid mit ungekämmten Haaren, ihre Öko-Phase, natürlich für einen Mann. Sie spiegelte sich in einem Schaufenster. Sie erkannte sich nicht. Sie gefiel sich nicht. Graumausig, ältlich, unförmig. Erst nach einigen Sekunden bemerkte sie, dass hinter ihrem Spiegelbild eine Frau heftig winkte und gestikulierte. Sie betrat den Laden. Es war eine Boutique.Die Frau trug einen Kimono und einen Pony wie eine hochgerutschte Mütze. Ihr Mund war dick mit tiefrotem Lippenstift bepinselt.
    »Willkomm inner Vorher-Nachher-Show«, brummte die Frau.
    So hat Sonnie Chola getroffen. Und bald darauf hatte zwischen ihnen der erste von vielen Kurzdialogen stattgefunden, der zu minutenlangen Lachkrämpfen führte:
    »Das ist toll«, hatte Chola jede von Sonnies Bemerkungen kommentiert.
    Und Sonnie hatte gefragt: »Du findest wohl alles toll?«
    Und Chola hatte gebrummt: »Halt’s Maul!«
    Sonnie war die Schulkluge. Chola war die Lebenskluge. Sonnie lebte immer in Beziehungen. Chola lebte immer allein und hatte Affären. Beide waren Überlebenskünstlerinnen. Sonnie überlebte durch Anpassung. Chola überlebte durch Dominanz.
    »Warum hast du keine Kinder?«
    Kaum hat Sonnie die Frage ausgesprochen, fürchtet sie sich vor der Antwort.
    Chola steckt ihr ein Tempo zu. »Putz dir die Nase.«
    Sie öffnet die nächste Bierdose.
    »Vielleicht kannst du den Botox-Gutschein gegen einen Abtreibungs-Gutschein tauschen?«
    Sonnie lacht auf,

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