Der Kofferträger (German Edition)
Kälte. Nach dreißig Minuten hatte er sein Auto gefunden. Der Weg zu seinem Boot zurück ging schnell. Er lud den Karton um und machte sich aus dem Staub. Der Blick der Neugierigen konzentrierte sich auf das lodernde Objekt unterhalb von Nikolskoe.
*
Seit er aus Italien zurückgekehrt war, hatte er schon drei Mal sein kleines, bescheidenes Hotel gewechselt. Er wollte dadurch vermeiden, von der ausgeschwärmten Privatarmee des Kanzlers ausfindig gemacht zu werden. Seine Rechnungen beglich er stets bar, was die breitschultrigen Hotelbesitzer seiner zwielichtigen Kaschemmen mit Zufriedenheit quittierten. Ein Stück Papier verlangte er nie. Auch das war seinen Gastgebern Recht.
Es war Zeit, Kontakt mit einem alten Freund, Rechtsanwalt, Manfred Stahl, aufzunehmen. Manfred würde aber längst vom ‚Verfassungsschutz‘ des Kanzlers überwacht werden. Ein Treffen zwischen ihnen beiden in Berlin würde die Geheimdienstler direkt an ihn heranführen.
Mit den geretteten Kartons fuhr Schütz noch in derselben Nacht zum Lehrter Bahnhof, wo er sie in große Schließfächer steckte. Die Gebühr bezahlte er für achtundvierzig Stunden im Voraus. Wie kamen die vier Schlüssel am sichersten zu Dr. Manfred Stahl, zumal der auch noch nichts davon wusste? Schütz rief Onkel Siegfried Teusch an und sie trafen sich an einem geheimen Ort in Berlin. Onkel Siegfried stieß wieder sein krächzendes Lachen aus. Ihm war es ein Genuss, den Behörden ein Schnippchen zu schlagen.
Nach ein paar Tagen erfuhr er von Siegfried, Manfred hielte alle Schlüssel in seinen Händen. Von jetzt an entschied sein Freund, wie er mit der Sache verfahren wollte. Sie blieben auch über die Kontaktstelle Siegfried Teusch in Verbindung. Jürgen Schütz hatte Manfred wissen lassen, dass er noch einige Dinge zusätzlich zu erledigen hätte. In ein paar Tagen würde er sich wieder melden.
Hätte er mit Dr. Stahl einen Vertrauten an seiner Seite?
45 Verschollene leben länger
Könnte er jetzt diese Lücke in der Beweisführung schließen, wie er es vorhatte?
Im Gasthof ‚Hirsch‘ in Rybocice genoss er unerkannt ein Bier. Vielleicht würde er über seinen verschollenen Partner in Sachen ‚ Happy Hour ‘ per Zufall irgendetwas erfahren. Was machte Henriks Familie? Wie ging es Frau und Tochter? Im Zweifel müsste er die Leute direkt über den möglichen Tod seines Freundes ausfragen. Der erste Tag verlief ohne Erkenntnisse. Ebenso der Zweite, wie der Dritte.
Am Vierten, einem Freitagabend, wurde die Tür von außen aufgestoßen. Es folgte ein Stock, dann ein zweiter. Ein Mann hing an diesen Krücken, humpelte hinein. Das rechte Bein in einem Gipsverband. Schütz stockte der Atem. „Henrik“.
Hinter einer Zeitung hielt sich der Beobachter versteckt. Henrik blieb an der Theke. Mit seinen Armen stützte er sich auf die Reling des Tresens. Er hinterließ nicht den Eindruck eines unglücklichen, verfolgten Menschen. Seine Stimme klang gut gelaunt. Mit Scherzen und Lachen vertrieb er sich mit ein paar Freunden die Zeit. Jürgen nahm sein Schutzschild herunter, lehnte sich mit erhobenem Kopf zurück. Henrik stutzte nur einen Augenblick, vertiefte sich wieder in sein Gespräch. Dann kam er. Er schaute skeptisch.
„Irgendwoher kenne ich dich. Nimm deine Brille ab.“
Grinsend legte Schütz das Gestell mit den Glasscheiben ab.
„Hallo“, grüßte Henrik mit zwiespältiger Miene. „Ich hatte sofort das Gefühl, dass du es bist.“
War er sauer auf Schütz oder auf sich selbst, weil er versagt hatte?
„Hallo“, grüßte Schütz zurück.
„Bist du schon lange hier?“, fragte Henrik.
„Es geht.“
Keiner wusste so richtig, wie er das Gespräch beginnen sollte.
„Was machst du hier ?“, wollte Henrik wissen.
„Ich habe auf dich gewartet, oder auf ein Zeichen von dir.“
„Bist du erstaunt?“ Dabei klopfte er mit einem Krückstock auf sein Gipsbein, als wenn er es durchschlagen wollte.
„Ja, ich bin natürlich erstaunt, dich hier wieder zu finden. Ich dachte, Schlimmeres sei passiert.“
„Überhaupt nicht. Ich habe Glück gehabt.“
„Ich hatte einen Schuss gehört“, Schütz sprach von den Ereignissen, als seien sie eben erst geschehen. „Noch am Tage danach bekam ich schlechte Nachrichten.“
„Wild war die Geschichte schon. Ich glaubte, am Rande des Abgrunds zu stehen. Dann wendete sich das Schicksal. Das Blöde war bloß, dass ich dich nicht benachrichtigen konnte. Ich hoffte, du würdest
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