Der Kofferträger (German Edition)
„wir sind in dem Haus. Aber wir haben eine Überraschung erlebt. Was meinen Sie, wen wir angetroffen haben? Unglaublich. Die beiden Toten. Die beiden, die wir auf See mit der Yacht versenkt haben. --Was? --Scheiße? --Ja, richtig Scheiße. Das kann man wohl sagen. --Ich weiß nicht wie, keine Ahnung, aber sie sind hier.—Wie?—Nichts tun?—Natürlich, Presidente.—Gut, sicher aufbewahren.—Wie?—Warten, bis sie selbst dabei sind?—Gut, Presidente.“
Zum Schluss des Gespräches machte der Blonde eine Verbeugung in Richtung Telefon. So weit reichte die Macht des sogenannten Presidente. Bald schon wusste Corinna, wer mit Presidente gemeint war. Der Blonde plauderte munter darauf los. Er stellte sich vor den Kräftigsten unter ihnen, den Brutalen.
„Damit du Bescheid weißt. Du lässt die Finger von der Kleinen. Sonst zieh ich dir einen über. Bertoldi hat die Anweisung gegeben, sie an einen sicheren Ort zu bringen, bis er aus Berlin zurück ist. Er will selbst dabei sein, wenn sie liquidiert werden. Sonst kann er sich nicht sicher sein, dass sie wirklich tot sind“, hat er gemeint. Bei den letzten Worten wurde der Blonde wieder unterwürfig. Bezog sich die zweite Ermahnung doch auch auf ihn. Der Brutale hatte vor dem Blonden Haltung angenommen. Die Hierarchie war deutlich zu erkennen. Das Telefongespräch verschaffte Corinna und Jürgen Luft. Sie waren sich nun sicher, dass die Drei nichts ohne ihren Boss tun würden. Solange waren sie in sicherer Obhut. Das bedeutete aber auch, dass sie bei dem Prozess nicht zugegen sein würden. Weniger hatte es sie überrascht zu hören, wer der Presidente war. Der Boss der PCG. Folglich arbeiteten sie nicht nur mit der Mafia zusammen. Sie waren die Mafia.
Die Gewalttäter begannen, sich für die Nacht in dem Haus gemütlich einzurichten. Vergeblich suchten sie nach Alkohol. Jürgen und Corinna hatten seit ihrer ‚ Happy Hour ‘ Entwöhnung nicht einen Tropfen zu sich genommen, verwahrten auch keinen Alkohol im Haus. Selbst die Lebensmittel waren äußerst knapp, da beide schon am nächsten Tag nach Deutschland reisen wollten. Die Situation machte die Banditen aggressiv.
Aus ihren ärgerlichen Gesprächen kristallisierte sich für Corinna allmählich der bis dahin sinnlose Zusammenhang heraus. Sie selbst trug die Schuld, dass sie hier entdeckt worden waren. Irgendwann hatte sie dem Dritten im Bunde von diesem Haus erzählt. Sie hatte gehofft, ihn auf ihre Seite ziehen zu können, dass er sie von dem Segelschiff herunterließ. Mit Wut im Bauch erinnerte sie sich an ihre Worte, als sie ihm die Lage und das Aussehen des Hauses beschrieben hatte.
Sie war einem großen Irrtum unterlegen. Sie hatte sich damals nicht helfen können und heute trieb die Situation sie ins Verderben.
Für die Banditen waren sie und Jürgen längst tot gewesen. Offenbar wollten die Ganoven sich des Hauses bemächtigen, hier einziehen und es sich in der Fluchtburg gemütlich machen. Das war der einzige Grund. Dabei waren sie zufällig auf sie beide gestoßen. Für die Banditen ein großes Glück. Für Jürgen und sie eine Katastrophe. Es bedeutete ihren Tod. Sie schielte mit ihren vor Schreck geweiteten Augen zu ihrem Freund hinüber. Jürgen blickte vor sich auf den Teppich, als peilte er einen besonderen Farbfleck an. Für die Bewacher könnte er den Eindruck vollständiger Resignation erwecken. Aber sie analysierte das Gegenteil. Er war so hellwach, wie selten zuvor. Mit Sicherheit machte er sich Gedanken, wie sie ihrem scheinbar tödlichen Schicksal entfliehen konnten, jetzt hier oder an anderer Stelle.
Im Keller hinter altem Gerümpel hatten sie all die Papiere, Zeugnisse, Bescheinigungen und Zeugenaussagen gut versteckt. Beinahe so, als hätten sie mit einem ähnlichen Überfall gerechnet. Was nützten jetzt die beweiskräftigen Dokumente, wenn sie auch nach Prozessabschluss noch im Keller bei Tarent lagen? Braunegger würde auch noch in zehn Jahren seinen Korruptionsgeschäften nachgehen, als Kaiser der Welt. Ihrer beiden Leichen wären irgendwo in einem neu erbauten Haus eingemauert. Der Gedanke an die Zukunft ließ Tränen über ihre Wangen laufen. Sie vermischten sich mit dem Blut in ihrem Gesicht. Sie spürte den salzigen und schmierigen Geschmack auf ihren Lippen.
Der Blonde hatte zu einer feisten Zigarre gegriffen und qualmte die Bude voll. Wie ein Graf sog er mit gespitztem Mund lustvoll an dem schwarzen Stängel. Er lag mehr in seinem Sessel, als er saß. Seine Beine hatte er
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