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Der Kofferträger (German Edition)

Der Kofferträger (German Edition)

Titel: Der Kofferträger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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das Netz war von langer Hand entworfen worden. Nur selten geriet das Opfer ‚per zufall’ in die Verfilzungen des Netzes. Bei der Oberspinne lagen vorbedachte Planungen dahinter.
     
     
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    Das unbegrenzte Machtstreben, die lockende Kaiserkrönung unter den Augen des Papstes hatte schon Karl V. im 16. Jahrhundert zu Verwüstungen, Zerstörungen und Zugeständnissen geführt. Den Habsburger Herrscher über Europa ehrte man zurzeit in Berlin. Die Ausstellung stand unter der Schirmherrschaft des Kanzlers. In einer Laudatio zur Eröffnung hatte H. B. Parallelen zu Deutschland und Europa gezogen. Er sonnte sich in dem Vergleich mit dem Ritter in der silbernen Rüstung. Bei einem gemeinsamen Besuch in der Kunsthalle war der Kanzler ehrfürchtig vor diesem Herrscher in die Knie gesunken. Natürlich fiel er nur in Gedanken auf den steinernen Boden nieder.
    „Das ist ein Vorbild, Jürgen“, hatte der Großmeister der Geldinfusionen geschwärmt. Dann hielt er seinem Neffen einen langen Vortrag über die Größe Karls V. Als junger Mann von den deutschen Kurfürsten zu ihrem Vorreiter gewählt, hatten die Reichsedlen nicht im Geringsten durchgeblickt, wem sie da auf den Thron verholfen hatten. Doch vom ersten Tag an hatte der junge Bursche begonnen, seine sich selbst gesetzte Aufgabe umzusetzen. Ein einziges Kaiserreich deutscher Nation, von Warschau über Ankara, von Tunis über Tanger bis nach Amsterdam, war sein Ziel. Dafür opferte er jeden Tag seines Lebens, meist in metallisch glänzendem Harnisch auf dem Rücken eines Pferdes.
    „Schon zu jenen Zeiten gab es zwei Arten von Kämpfern“, zog H. B. seine Schlussbilanz aus seinem Vortrag. „Die einen zogen selbst in den Krieg. Die anderen bezahlten die Ausrüstung und die Legionäre. Beide Arten der Krieger verfolgen allerdings damals wie heute dasselbe Ziel. Ihrer Lebensauffassung zum Durchbruch zu verhelfen, und sei es mit Gewalt. Heute ist es nicht anders. Die einen engagieren sich persönlich und kämpfen an der Front, die anderen bezahlen, damit ihre Ziele durchgesetzt werden. Sage nur jemand einer von beiden habe unrecht. “
    Für Toleranz gab es da keinen Platz. Den gelehrigen Worten s eines Gönners hatte Jürgen wohlwollend zugehört. Als junger Mann war er durchaus geneigt gewesen, dem Monstrum der europäischen Macht zu lauschen und Ratschläge anzunehmen.
    Karl V. lebte allerdings als anderes Bild in ihm. Ein machtgieriger, brutaler und intriganter Feldherr, der Menschen wie Spielzeuge auf seinem Schachbrett einsetzte. Hatte er doch von der Plünderung Roms, von dem Hinmetzeln Tausender von Menschen, von den endlosen Vergewaltigungen und Kindesmorden nur achselzuckend behauptet, das habe er nicht gewollt und davon auch gar nichts gewusst? Diese Art der Amnesie war bei den Mächtigen der Welt über die Geschichtsbücher hinweg eine unheilbare Krankheit geblieben, die sich nicht biologisch, sondern über die Ämterpatronage weitervererbte.
    Ein plötzlicher Signalton ließ ihn aufschrecken und aufgeregt das Telefon suchen. Verdammt, nein, es war ein Traktor, der über den Feldweg daher kam und passieren wollte. Verstört entschuldigte er sich mit einer Handbewegung bei dem Bauern, schloss die Tür, zündete den Motor und setzte zurück. Der Bauer fuhr vorbei, grüßte sehr freundlich. Jürgen war es befremdlich, sich allein durch die Hupe zu erschrecken.
    Nach ein paar gymnastischen Übungen auf der grünen Wiese lenkte er sein Fahrzeug nach Mai land. In sein Display sprach er: „Via Spallanzani Nr. 40“.
    Die Portale des „Starhotel – Ritz“ leuchteten in weichem pastellösem Licht. Die komponierten Beleuchtungseffekte verzauberten die Welt, schenkten dem Gast das wärmende Gefühl heimkommenden Willkommens. Über das Eingangsportal schwang sich ein Halbbogen mit den Hotelinsignien. Genau in der Mitte vor dem Eingang breitete eine Kokospalme ihre weit ausladenden Fächer aus. Grüne Ledersessel im altenglischen Stil auf dunkelrotem Parkettholz in der Lounge versöhnten ihn ein wenig mit seiner zerrissenen Seele. Er hatte voraus gebucht und wurde nun freundlich in seine Suite geleitet.
    Beigefarbene, strukturierte Tapeten, durch schmale quadratische Holzrahmen aufgeteilt, vermittelten einen kunstvollen Galerieeindruck. Aus einem der Quadrate schaute die Weltkarte aus dem Kartenzimmer des Palazzo Vecchio in Florenz hervor. Eine Kopie des aus dem sechzehnten Jahrhundert stammenden Originals. Ein türloser Durchgang ließ den Blick frei in den

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