Der Komet von Palling - Oberbayern-Krimi
den Kadaver ja wahrscheinlich nicht
liegen gelassen hätten. Hinter der Hand flüstert man, die Langner sei
gelegentlich gesehen worden, wie sie sich in den Wäldern herumtrieb. Vielleicht
hatte die Dame seltsame Vorlieben. Vielleicht hat sie ihre eigenen religiösen
Zeremonien veranstaltet, bei denen sie die Hauptrolle spielte. Vielleicht hatte
sie sich zu sehr verselbstständigt, war der Sekte untreu geworden, was sie zu
einer ganz konkreten Gefahr für den wandelnden Toten Hermann Graue werden
ließ.«
Kommissarin Wintersruh
war aufgestanden und öffnete das Fenster, um sich verbotenerweise eine
Zigarette anzuzünden. Bichler warf ihr einen strafenden Blick zu, was seine
Chefin jedoch geflissentlich ignorierte.
»Da fehlt ein Glied in
der Kette«, stellte sie zum wiederholten Mal fest. »Wer liegt in dem Grab von
Hermann Graue?«
»Meinen Sie, wir sollten
eine Exhumierung beantragen?«
Die Kommissarin
schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass das noch was bringt.
Die Leiche war doch schon damals halb verkohlt, und nach fünf Jahren wird nicht
mehr als ein bisschen Staub und Asche übrig sein.«
Bichler machte sein
kluges Mausgesicht. »Und es fehlt noch ein zweites Glied. Es muss eine Person
in Palling geben, die Hermann Graue – wo und in welcher Identität er auch immer
nun stecken mag – auf dem Laufenden hält. Jemand, der die Verbindung zwischen
ihm und dem Verein aufrechterhält. Ein Mittler, ein Zuträger, ein Informant,
der ihn warnt, wenn es brenzlig wird, und der ihm vielleicht auch einflüstert,
was jetzt zu tun ist.«
»Wenn es eine solche
Person tatsächlich gibt, wird sie schwerlich aufzuspüren sein. Wahrscheinlich
handelt es sich nicht um ein eingeschriebenes Vereinsmitglied, sondern eher um
eine persönliche Vertraute.«
»Sie meinen, cherchez la
femme, Chefin?«
Helga Wintersruh zuckte
die Schultern. »Warum nicht? Würde mich gar nicht überraschen, wenn ein so
großer Meister und Druide eine ganze Reihe von glühenden Verehrerinnen hat, die
bereit sind, alles für ihn zu tun. Morgen Nachmittag werden wir beide ein
weiteres Mal nach Palling fahren und die Wohnung von der Langner unter die Lupe
nehmen. Die ist immer noch versiegelt, alles unverändert. Vielleicht haben wir
etwas übersehen. Vielleicht finden wir irgendeinen Hinweis, wo der graue
Hermann sich verborgen hält.«
9
Am nächsten Morgen rief
Monika Schwalbe überraschend auf dem Mooshamer-Hof an und bat Xaver Birnbaum,
er möge doch kurzfristig noch einmal mit nach München zu Dr. Hasenpfeffer
kommen. Birnbaum hatte eigentlich vorgehabt, den Traktor zu reparieren, der
wieder einmal seine Mucken hatte, am Nachmittag wollte er dann mit seiner Frau
nach Traunstein, um einen Kindersitz auszusuchen und sonst noch ein paar
Kleinigkeiten, die sie bald brauchen würden. Aber Maria war ohnehin wieder
wortkarg. Sie hatte sich ins Bügelzimmer verkrochen und sprach kein Wort.
»In Ordnung«, sagte
Birnbaum missmutig. »Der Traktor kann warten. Holen Sie mich ab? Ich bin nicht
sicher, ob mein Wagen die Strecke durchhält.«
Eine halbe Stunde später
war die Schwalbe da. Sie hatte wieder einmal bei ihrer Bekannten in Traunstein
übernachtet. Zweimal wöchentlich fuhr sie zum Acker hinauf, betrachtete den
Kometen von allen Seiten, so weit das Gitter, das streng verschlossen blieb, es
zuließ, und warf ihre mobilen Messgeräte an. Es änderte sich nichts: Die Uhren
blieben stehen, und die Mobilfunknetze funktionierten nicht, wenn man dem Ding
näher als dreißig bis vierzig Meter kam. Diese Entfernung variierte
gelegentlich leicht, wenn sich beispielsweise eine Gewitterfront näherte. Dann
konnte sich die Reichweite des Meteoriten auf bis zu fünfzig Meter ausweiten.
Das war aber auch alles, und solange die Wissenschaftler den Kometen nicht
herausnehmen und genauer analysieren konnten, stagnierte die Forschung.
Birnbaum quetschte sich
auf den Beifahrersitz des Golf. Das Fenster des Bügelzimmers unterm Dach stand
ein bisschen offen. Die Gardine bewegte sich leicht. War das der Wind? Oder
stand Maria da oben und schaute ihnen nach?
»Was will der
Hasenpfeffer denn von uns?«, fragte Birnbaum, während die Schwalbe den Motor
aufheulen ließ.
»Er hat einen ziemlich
fiesen Brief bekommen, vom Anwalt unserer Gegner.«
Birnbaum war überrascht.
»Unserer Gegner? Ja, haben wir denn jetzt konkrete Gegner?«
»Sie waren immer da,
auch wenn sie sich nicht blicken lassen und auch wenn die Polizei behauptet,
bei der
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