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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Stein
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hierin einen Beleg für die Güte Gottes erblicken. Der Ewige bewirke seine Wunder eben nicht gegen die Natur, sondern mit der Natur: Er habe es gar nicht nötig, beim Wunderwirken gegen die Naturgesetze zu verstoßen, sondern könne diese lässig für Seine erhabenen Zwecke einspannen. Der Kardinal meinte gar, der Zufall sei nichts als die Maske, hinter der sich das Gesicht Gottes verberge.
    Wir dürfen diesen Streit um Gottes Maske (oder des Kaisers Bart) ohne jeden Skrupel auf sich beruhen lassen. Wir haben hier nur mit nüchternen Worten zu beschreiben, was an jenem Dienstagmorgen um 8.46 Uhr geschah: Der Komet löste sich vor aller Augen in Wohlgefallen auf. Hinterher regneten seine Einzelteile nochwochenlang in die oberen Schichten der Atmosphäre nieder, wo sie nichts weiter als Kondensspuren hinterließen – weiße Schlieren und Streifen im ansonsten ungetrübten Himmel.
    Unter der Menschenmenge auf dem Cobenzl befand sich auch eine Abordnung aus der glanzvollen Stadt Sarajewo, die seit mehr als einem Jahrhundert nichts anderes gekannt hatte als goldenen Frieden – einer Stadt, in der man so viele Minarette, so viele Kirchtürme und Synagogendächer sah wie sonst nur noch in Jerusalem. Es handelte sich bei jener Delegation um eine Gruppe von jungen Koranschülern in bosnischer Nationaltracht (weiße, bunt bestickte Hemden, türkische Pluderhosen); sie waren gemeinsam mit ihrem verehrten Imam angereist, einem freundlich-vierschrötigen Mann mit weißgrauem Bart, der einen hohen Sarik auf dem Kopf trug. Die bosnischen Muslime gehörten – das wusste jeder in der Donaumonarchie – zu den treuesten Untertanen Seiner Majestät. Sie waren gebildet, offen, der Welt zugewandt und lebten die religiöse Toleranz aus dem Geiste des Propheten. Dass die frommen Männer sich an diesem Morgen ausgerechnet auf dem Cobenzl eingefunden hatten, muss beinahe logisch genannt werden; denn der Islam ist eine todesmutige Religion. Er lehrt die Rechtgläubigen, sich mit ihrer eigenen Sterblichkeit zu beschäftigen, über sie nachzudenken und ihr furchtlos das Herz zu öffnen (in dieser Hinsicht gleicht der Islam eher dem Buddhismus als den anderen monotheistischen Glaubensrichtungen). So hatten diese Muslime also beschlossen, dem Tod geradeaus ins Auge zu blicken; männlich, ohne Murren würden sie sich in das fügen, was Gott ihnen bescherte. »Allahu Akbar«, bemerkten sie nun ehrfürchtig wie aus einer Kehle, als der Komet am Firmament zerstob: Gott ist groß.
    Weil »Akbar« aber eine Steigerungsform des Adjektivsist, die von den Grammatikern mit einem Fachwort Elativ genannt wird, sollte diese arabische Formel eher so übersetzt werden: Gott ist größer. Er ist immer größer. Größer als unsere Träume und Albträume, größer als unser Kummer; größer als alles Schlimme, das Menschen einander antun. Größer als jeder Weltuntergang. Größer als alle Geschichten, die wir uns je ausdenken könnten. »Allahu Akbar.« Nach dem islamischen Kalender schrieb man den 23. Dschumada al-Achira des Jahres 1422: Es war ein schöner Tag im blauen Mond September.
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Das Buch
    Der Erste Weltkrieg hat nicht stattgefunden, Amerika ist Kontinent der Hinterwäldler: In diesem Roman gibt es keine Anglizismen, keine amerikanischen Erfindungen und keinen Krieg. Dafür ein Europa voller Juden, den Mond als deutsche Kolonie und Wien als Zentrum der Welt.
    „I bin doch ned deppat, i fohr wieder z´haus“ lautet der Schlüsselsatz dieses Buches – und damit fällt in Hannes Steins Roman „Der Komet“ der Erste Weltkrieg aus. Denn gesprochen wird der Satz vom österreichischen Thronfolger am 28. Juni 1914 in Sarajewo, wo gerade jemand versucht hat, eine Bombe auf Franz Ferdinand zu werfen.
    Das hat natürlich Folgen: denn ohne den Ersten Weltkrieg gibt es auch keinen Zweiten, keinen Kalten Krieg, keine Entkolonialisierung und keine Kollision mit dem Islam. Die europäischen Staaten versuchen ihre komplizierte Machtbalance zu erhalten – augusteischer Frieden herrscht auf der Welt.
    Amerika ist ein zurückgebliebener Kontinent voller Cowboys, Goldgräber und Hinterwäldler; Europa bleibt das vorherrschend von Monarchen regierte Maß aller Dinge.
    Vor allem: Das von Wien aus regierte, liebenswerte, etwas bräsige k.u.k.-Reich ist und bleibt der Nabel der Welt.
    Hier, in der Hauptstadt des Vielvölkerreichs, dieser Stadt voller Juden, Psychoanalytiker und Wiener Schmäh, spielt Hannes Steins erster Roman. In

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