Der Kommandant und das Mädchen
als hätte es die Trennung nie gegeben.
“Ich hätte dir etwas zu trinken anbieten sollen”, sage ich eine Weile später, als wir erschöpft auf dem Bett liegen.
Jakub schüttelt den Kopf. “Ich habe keinen Durst”, erwidert er und streckt seine Hand nach mir aus. In der Hitze der Leidenschaft hatte ich den Kommandanten und alles andere völlig vergessen, was geschehen war. Jetzt muss ich an meinen Verrat denken, und ich beginne mich für diese Dinge zu schämen. Als sich Jakub erneut über mich legt, betrachte ich seinen hageren Körper und sehe auf einmal den großen, muskulösen Kommandanten vor mir.
Nein
, denke ich und versuche das Bild zu verdrängen. Nicht jetzt, nicht in diesem Augenblick, den ich mit meinem Ehemann teile.
Ich schließe die Augen und versuche, mich auf Jakubs Berührungen zu konzentrieren. Doch als mein Verlangen erneut erwacht, sehe ich im Geiste abermals das Gesicht des Kommandanten vor mir. Plötzlich kommt mir ein schrecklicher Gedanke: Was, wenn Jakub das bemerkt? Mir ist inzwischen bewusst, dass ich mich anders gebe, wenn ich das Bett mit dem Kommandanten teile. Mein Rhythmus ist auf seinen eingestellt, und ich bewege mich selbstbewusster und kraftvoller. In Panik frage ich mich, ob ich mich bei Jakub so verhalte, wie ich es sollte. Ich versuche mich daran zu erinnern, wie ich mich gab, als wir damals beieinander waren.
Auf einmal stöhnt er laut auf und reißt mich aus meinen Überlegungen. Ich öffne die Augen, während er verloren in seiner eigenen Lust neben mir aufs Bett sinkt. Erleichtert erkenne ich, dass ihm nichts aufgefallen ist.
“Mmm”, murmelt er, die Arme um mich gelegt, die Augen geschlossen. Sein Atem geht ruhig und gleichmäßig. Ich kann nicht einschlafen, sondern drehe mich auf die Seite, um ihn anzusehen und mich an seiner Anwesenheit zu erfreuen. Es gibt so vieles, das ich längst vergessen hatte: seine Wärme, sein Atem, die Art, wie unsere Körper sich gegenseitig ergänzen, als wäre jeder von uns nur Teil eines Ganzen. Beide haben wir seit unserer letzten Begegnung einen weiten Weg zurückgelegt – ich durch das Ghetto und meine Arbeit in der Burg, Jakub durch die Widerstandsbewegung. Gott allein weiß, was er dabei alles durchgemacht hat.
Eine Weile später ist er wieder aufgewacht, und den Rest der Nacht liegen wir im Bett und reden ohne Unterlass, so wie damals, als wir frisch verheiratet waren. Er erzählt mir, dass er sich im Wald aufgehalten hat und zwischen Warszawa, Lodz und Lublin sowie anderen polnischen Großstädten unterwegs war, um die Anstrengungen der verschiedenen Widerstandsgruppen zu koordinieren. “Es gibt auch nicht-jüdische Gruppierungen”, erklärt er. “Der Versuch, die Arbeit der Polen und der Juden aufeinander abzustimmen, war leider größtenteils erfolglos. Aber wir haben jetzt genug über mich geredet.” Er streicht mir übers Haar. “Sag mir, was geschehen ist, nachdem ich dich verlassen habe.”
Ich zögere, da ich mir nicht sicher bin, wie viel ich ihm erzählen soll. “Nun, ich habe versucht, zu meinen Eltern zurückzugehen, so wie du es mir gesagt hast”, beginne ich und lege meinen Kopf an seine Brust. Jakub etwas nicht vorbehaltlos anzuvertrauen ist für mich eine ungewohnte Erfahrung. “Aber sie waren nicht mehr zu Hause.”
“Und dann kamst du ins Ghetto.” An seinem Tonfall merke ich, dass er weiß, was wir dort durchmachten. Mein Leiden hat ihn geschmerzt.
“Als ich dort lebte, war es noch nicht so schlimm”, versichere ich. “Alek und die anderen waren so gut zu mir.”
“Dort hast du auch Marta kennengelernt, nicht wahr?” Ich höre ihm an, dass er in der Dunkelheit lächelt. Plötzlich aufkommende Eifersucht versetzt mir einen Stich.
“Ja.” Mehr sage ich nicht dazu, denn obwohl sie meine Freundin war, möchte ich nicht über sie reden, während ich mit Jakub im Bett liege.
“Sie ist ein bemerkenswertes Mädchen.”
Ich bin froh, dass er sie mehr als Kind denn als erwachsene Frau ansieht. “Im Ghetto hatte ich einige Freunde.”
Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn. “Trotzdem kann es für dich nicht leicht gewesen sein.”
“Meine Eltern …”
“Ja, ich hörte, dass sie noch im Ghetto sind. Wir haben es versucht, aber es ist so schwierig, die Älteren herauszuholen.”
Ich überlege, ihn zu fragen, wie man meinen Eltern helfen kann, doch er klingt plötzlich fast so wie Alek. Mir wird klar, wie sinnlos es ist, länger über dieses Thema zu reden. “Mir sind Gerüchte zu
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