Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller
musste, um in Schwung zu bleiben. Die erste Aktentasche, nach der er griff, schien ihm zehnmal so schwer zu sein als vorher, als er sie ins Haus getragen hatte. Sein Kopf schmerzte, sein Rücken war verspannt und seine Beine fühlten sich bleiern an.
Robert DeClercq hatte den ganzen Tag damit verbracht, die Ergebnisse der Rasterfahndung zu analysieren. Zu jeder neuen Verhaftung gab es Berichte, dazu Computerprojektionen und Videoprotokolle von Verhören, die es zu untersuchen galt. Während der Tag sich dahinschleppte, hatte ihn die Zahl all der Irren, die dort draußen frei herumliefen, immer deprimierter gemacht. War es immer schon so schlimm gewesen – oder drehten in letzter Zeit einfach mehr Leute durch?
Lass alles bis morgen liegen, dachte er. Und dann wurde ihm plötzlich bewusst, dass es bereits morgen war.
Als er die Aktentasche in das Gewächshaus trug und sie dort auf den Schreibtisch legte, fragte er sich, ob jemand in dieser Nacht ein weiteres Opfer finden und er dann einen weiteren Anruf erhalten würde.
Während er dabei war, den Inhalt der Tasche auszupacken, fiel sein Blick auf eine Notiz über Hämatomanie, die er sich gemacht hatte. Bis zum heutigen Tage hatte der Superintendent nicht gewusst, dass es tatsächlich einen mit Vampirismus verwandten, medizinisch erfassten Krankheitszustand gab. Er kam nur selten vor, aber es gab aktenkundige Fälle. John George Haigh hatte 1949 acht Morde gestanden und erklärt, er habe aus dem Hals eines jeden Opfers ein Weinglas voll Blut entnommen und es getrunken.
War es das?, fragte er sich. Litt der Headhunter unter Hämatomanie? Und wenn ja, konnte es dann nicht sein, dass es darüber irgendwo Aufzeichnungen gab? Vielleicht eine kleine Auffälligkeit? Etwas, das jemand bemerkt hatte? Sein Blick fiel auf die Bücher.
Jetzt standen nämlich fünf Bände auf seinem Schreibtisch, die am Morgen noch nicht da gewesen waren. Jedes Buch war in edles rotes Leder mit Goldprägung gebunden. Alle fünf wurden von zwei Buchstützen aus Bronze senkrecht gehalten, eine davon in Gestalt eines ungewöhnlich dicken Mannes.
DeClercq griff nach einem der Bände und sah auf den Rücken. Nero Wolfes beste Fälle stand da zu lesen .
Er schlug das Buch auf, sah auf die Titelseite. Auf einer Seite war ein Farbbild des großen Detektivs, wie er umgeben von Hunderten von Orchideen in seinem Gewächshaus saß und ohne Zweifel darauf wartete, dass Archie Goodwin zurückkehrte. Auf die gegenüberliegende Seite hatte seine Frau mit schwarzer Tinte in schöner Handschrift geschrieben: »Für den größten aller Detektive. Ich liebe dich. Genevieve.«
Der Superintendent lächelte. Dann erinnerte er sich, was sie gestern Morgen zu ihm gesagt hatte. Tust du mir einen Gefallen? Bitte. Setz dich nicht selbst zu sehr unter Druck.
»Also gut«, flüsterte er. »Ich will es versuchen.«
Er ging durch die Tür des Gewächshauses ins Wohnzimmer. So müde DeClercq auch war, wusste er doch, dass er einfach zu aufgekratzt war, um schlafen zu können. Er musste zuerst ruhiger werden.
Im Schallplattenregal suchte er nach etwas sehr Leichtem von Chopin. Er nahm eine Platte heraus, legte sie auf, drehte die Lautstärke auf ganz leise und setzte sich zwischen die Lautsprecher. Eine Viertelstunde , nahm er sich vor, dann gehe ich zu Bett.
Drei Minuten später schlief er auf dem Sessel ein.
00:55 Uhr
An manchen Tagen hat man Glück, an manchen Tagen nicht. So ist das Leben eben.
Es war 20 Minuten vor eins, als Monica Macdonald und Rusty Lewis in die Zentrale zurückkehrten, um dort ihre privaten Fahrzeuge zu holen. Den Großteil des Nachmittags hatten sie damit verbracht, die Biker aus dem Gerangel mit den Iron Skulls einzubuchten. Anschließend hatten sie sich wieder mit ihrer Fahndung befasst und waren erneut auf die Straße gegangen. Zwischen 17:00 Uhr und Mitternacht hatten sie sechs weitere Verhaftungen vorgenommen. Um halb eins hatten sie dann erschöpft beschlossen, Schluss zu machen.
»Treffen wir uns morgen um acht wieder hier?«, hatte Rusty Lewis vorgeschlagen.
»Einverstanden«, hatte Macdonald zugestimmt.
Sie stieg in ihren Honda Civic und fuhr vom Parkplatz. Sie war einfach zu müde, um sich den Highway anzutun, also entschied sie sich für die längere, aber ruhigere Route nach Hause. Die führte sie am Pussycat Club vorbei. Eine Neonschrift über der Tür blinkte: »Unsere Girls zeigen alles.«
Monica Macdonald hatte eigentlich nicht vor anzuhalten.
Im Augenblick herrschte
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