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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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sie zerstören konnte. Byrne (deren Name plötzlich wie ein Witz erschien) musste ihn geholt haben, wie er kohlrabenschwarz in seiner Urne ruhte, musste all die verbliebenen Knochenteile und Rußpartikel zu feinem Puder gemahlen haben. Und dann hatte sie ihn mit der Basisflüssigkeit vermischt, die er vorbereitet hatte: Gummiwasser, Geist und reichhaltige Magie.
    Dann musste sie ihren Füller in ihn eingetaucht, die Augen geschlossen und die Feder über das Papier geführt haben. Um anschließend zuzusehen, wie sich eine dünne Linie zu einer lückenhaften Kalligrafie formierte, um eine Substanz zu beobachten, die aus sich heraus lernfähig war, und vor loyaler Freude aufzukeuchen, als die Tinte eigenständig schrieb: Hallo. Da bin ich wieder.
    »Warum hat er das alles getan?« Dane starrte das Papier an, das tintenschwarz zurückstarrte. »Warum will er die Welt verbrennen? Weil er gebrannt hat? Will er an der ganzen Welt Rache nehmen?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Billy, der die übrigen Flieger einsammelte. Einen hielt er hoch. Drauf stand das Wort Poplar. Auf einem anderen Bindung. Auf wieder einem anderen Telefon . Stets in extrem dünner Schrift. Und auf jedem fanden sich zwei kleine, hingekritzelte Augen. Dies waren die Überbleibsel der Ehre, nostalgische Anmutungen zweifelhaft legendärer Zeiten.
    War das alles von jeher eine Lüge gewesen?, fragte sich Billy. War dieser die Neutralität missachtende Mörder immer schon so grausam gewesen? War etwas geschehen, das ihn dazu gebracht hatte, dergleichen zu tun? In solch ungeheuerlichem Ausmaß zu morden?
    Dane ging von einem verwüsteten Raum zum nächsten und sammelte Überreste der Krakenistenkultur ein, hier und dort ein paar Ausrüstungsgegenstände, Waffen. Ein paar Krakenisten mussten draußen gewesen sein, um Besorgungen zu machen oder ihrem Alltagsleben nachzugehen, und sie würden bald herausfinden, was aus ihrer Religion geworden war. Wie die letzten Londonmantiker waren auch sie nun heimatlos, und ihr Papst lag ermordet vor dem Altar. Aber in diesem Moment, in dem Dane hier unten in dieser Höhle in den Hinterlassenschaften des Todes wühlte, war er der letzte Mensch auf Erden.
    Wo kam das Licht her? Ein paar Glühbirnen waren nicht zerschlagen worden, aber das graue Licht in den Korridoren schien stärker zu sein, als es diese kleinen sepiafarbenen Lichter leisten konnten. Das Blut, das überall klebte, sah schwarz aus. Billy hatte einmal gehört, Blut würde im Mondschein schwarz wirken. Er blickte in die Augen eines der Papierflieger. Er musterte ihn. Das Papier flatterte wieder, und wieder war da kein Luftzug.
    »Er versucht zu entkommen«, sagte er. »Warum sollten sie ... er ... warum ist er überhaupt hergekommen? Warum hat er nicht einfach nur Befehle erteilt? Er sieht zu. Siehst du, wie dünn dieser Federstrich ist? Weißt du noch, wie sorgfältig Byrne mit den Papieren umgegangen ist, die sie beschriftet hat? Wie sie die Stifte gewechselt hat? Damit sie die Tinte wieder abkratzen konnte? Er ist nicht grenzenlos vorhanden.«
    »Warum hat er das getan?«, brüllte Dane. Billy starrte immer noch in die Augen des herabgefallenen Papierfliegers.
    »Ich weiß es nicht. Das ist es, was wir herausfinden müssen. Und darum lautet meine Frage: Wie verhört man Tinte?«

68
    Sie arbeiteten in dem Lastwagen. Dort waren sie sicherer als an dem Ort, der so plötzlich zu einem Grab geworden war. Billy hatte alle Flieger eingesammelt, die er hatte finden können, und sie von jeglichem Blut und Dreck befreit, sodass sie nur noch mit Tinte befleckt waren.
    Der Krake beaufsichtigte sie. Dane betete zu ihm. Während die Londonmantiker untereinander murmelten und Dane beobachteten, der plötzlich so verloren war wie sie selbst, badete Billy das Papier in destilliertem Wasser, weichte es auf und drückte es aus. Paul sah ihm zu, den Rücken, das Tattoo, der Wand zugekehrt. Billy nahm etwas von dem teefarbenen Wasser und versuchte, es einzukochen. Es kräuselte sich fort, verhielt sich irgendwie nicht so, wie es sollte.
    »Sei vorsichtig«, sagte Saira. Wenn die Tinte Grisamentum war, dann war vielleicht jeder Tropfen ganz er. Vielleicht hatte jeder Tropfen all seine Sinne und seinen Verstand und einen kleinen Teil seiner Macht.
    »Sie hat ihn jedes Mal abgekratzt. Sie hat ihn zurückgeholt und neu angemischt«, sagte Billy. Jede einzelne Pipette hatte Byrne wieder Grisamentums konserviertem Bewusstsein zugeführt. Warum sonst sollten diese Augen auf den

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