Der Krake
er hat ihn nicht«, erwiderte Dane. »Also, was wird er jetzt tun?«
Billy stieg die Leiter hinab. An seiner Brille klebte Blut unbekannter Herkunft. Er schüttelte den Kopf. »Er kann die Schriften nicht einmal lesen. Schon für einen Bruchteil würde er Jahrhunderte brauchen.«
»Ich weiß nicht, wo er ist.« Dane ballte die Fäuste, hob sie an und konnte sie doch nur wieder herunternehmen. »Zum letzten Mal gesehen habe ich ihn ...« Nicht das kleinste Lächeln zeigte sich auf Danes Lippen. »Es war kurz vor seiner Beerdigung.«
»Warum bekommen wir ihn nie zu sehen?«, fragte Billy. »Nur Byrne?«
»Er versteckt sich.«
»Ja, aber selbst als ... weißt du, als sie gegen das Tattoo gekämpft haben, war das Tattoo dabei. Meinst du nicht, Grisamentum sollte in einer Nacht wie jener ebenfalls persönlich in Erscheinung treten? Wir wissen doch, dass er diesen Kraken unbedingt in seine Finger kriegen will.«
»Keine Ahnung.« Dane fuhr mit der Hand über die Regale. Billy las die sonderbaren Worte, untersuchte die eigentümlichen Symbole auf den Papierfliegern, die er eingesammelt hatte. Dane stieg hinab und sammelte mit den Fingern Staub von den Regalen ein. Noch auf den Stufen drehte er sich um und sah Billy an, der still dastand und die Flieger betrachtete.
»Weißt du noch, was du über Grisamentums Tod gesagt hast?«, fragte Billy. »Über seine Einäscherung?«
»Nein.«
»Ich ...« Billy starrte einen Tintenfleck an, bewegte ihn, starrte ihn weiter an. »Diese Tinte«, sagte er. »Sie ist grauer, als man erwarten sollte. Sie ist ...« Er blickte auf, blickte Dane in die Augen.
»Cole hat ihn eingeäschert«, sagte Dane endlich und stieg wieder empor.
»Das hat er.« Billy starrte Dane entgegen. »Erinnerst du dich an die Art der Feuer, mit denen er umgeht?« Sie starrten das Papier an. Es flatterte, als wäre es einem Luftzug ausgesetzt, aber da war kein Luftzug.
»Krake«, flüsterte Dane, und Billy sagte: »Oh, lieber Jesus.«
Als Grisamentum entdeckt hatte, dass er sterben würde, musste ihn das gekränkt haben. Es gab kein Verfahren, mit dessen Hilfe er sich vor dem eigenen, schädlichen Blut hätte schützen können. An einem Erben war er nicht interessiert; er hatte nie den Wunsch gehegt, eine Dynastie zu begründen, es war ihm immer nur um seine eigene Macht gegangen.
Die Geschichte war voll von Frauen und Männern, die ihr Geisterselbst mit großer Entschlossenheit dazu gezwungen hatten, ihre Geschäfte weiterzuführen, die ihren Geist, der durch pure Hartnäckigkeit am Sterben gescheitert war, in ein Gefäß nach dem anderen zwängten. Aber das war nicht Grisamentums Gabe. Byrne war gut, von unverzichtbarer Kompetenz, ihre Hingabe an das Projekt sogar persönlicher Natur, doch auch sie konnte den Tod selbst nicht rückgängig machen. Nur in filigrane Abschnitte aufteilen, in gewisser Weise.
»Jesus Christus, er muss ... andere Arrangements getroffen haben«, sagte Billy.
Er hatte seine Beerdigung geplant, die Grabrede, hatte entschieden, wer eingeladen werden sollte und wer nicht, aber das, der Tod selbst, war immer nur Plan B gewesen. Wie, so hatte er vermutlich seine Spezialisten gefragt, können wir diese Unannehmlichkeit umschiffen?
War es geschehen, als er sich für dieses Spektakel anlässlich seiner Einäscherung entschieden hatte? Vielleicht hatte er gerade die Dienstanweisung geschrieben. Vielleicht hatte er Instruktionen für Byrne notiert, als er plötzlich den Stift in seiner Hand angestarrt hatte, das Papier, die schwarze Tinte.
»Er hat mit Pyros gesprochen«, sagte Billy. »Und mit Nekros. Was, wenn Byrne gar nicht telepathisch mit ihm in Verbindung gestanden hat, als wir sie getroffen haben? Weißt du noch, wie sie geschrieben hat?« Er faltete die kleinen Augen auseinander. »Was machen diese Papierflieger hier? Erinnerst du dich, wie er uns ursprünglich gefunden hat? Warum ist diese Tinte grau?«
Grisamentum war lebendig verbrannt worden in dieser temporären und psychisch gekunsteten Variante eines Erinnerungsfeuers, diesem Zusammenfluss verschiedener Fähigkeiten: dem Ergebnis der gemeinsamen Einsichten der Pyros, Byrnes und ihrer Todesexperten. Aber er war nicht ganz gestorben. Er war nie gestorben. Das war der Punkt.
Nach Stunden, als alle Trauergäste längst fort waren, musste man ihn eingesammelt haben. Er war Asche. Aber er war nie gestorben. Er war vor seiner Krankheit geschützt - er hatte keine Adern mehr, durch die sie ihn vergiften, keine Organe, die
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