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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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zitterte am ganzen Leib. »Verantwortlich für Gott weiß was alles. Wir mussten uns darauf vorbereiten, im Notfall für Sicherheit zu sorgen. Was sollten wir tun?«
    »Ich kann nicht fassen, dass du so etwas wirklich sagst«, entgegnete Saira. »Wir sind keine Mörder.«
    »Was für ein Theater.« Fitch bemühte sich um eine unbußfertige Miene.
    »Du hattest nicht vor, ihn gehen zu lassen«, bemerkte Billy. »Meinst du nicht, dass er genug davon hat, das Eigentum eines anderen zu sein?«
    »Das hätte man erörtern können«, sagte Fitch.
    »Ich könnte mir vorstellen«, gab Billy zurück, »dass Paul all denen, die auf dem Standpunkt stehen, dass seine Einkerkerung oder sein Tod das geringste Übel wären, auf das Schärfste widersprochen hätte. Ich wette, er hätte denen, die dergleichen ablehnen, vehement zugestimmt.«
    »Würdet ihr mir jetzt mal zuhören?«, fragte Fitch. »Paul weiß, wo wir sind.«
    »Wovon redest du?«, fragte Billy mit Blick auf den Auflieger. »Nicht mal ich weiß, wo wir sind, und ich bin hier.«
    »Er weiß, wie wir reisen; er hat den Laster gesehen. Wenn das Tattoo ihn wieder überwältigt, und das hat es schon früher geschafft, dann wird es seine Kräfte und Truppen versammeln, und dann stecken wir in ernsten Schwierigkeiten. Wir müssen davon ausgehen, dass wir in Gefahr sind.«
    Es hätte eine Nacht in die andere übergehen können, und der Tag vollständig ausfallen, so lange schien es schon dunkel zu sein, aber das störte Paul nicht. Ihm gefiel es so. Er entfernte sich von allen Geräuschen, atmete tief durch und folgte jeglicher Londoner Stille, die er finden konnte. Er war panisch und beschwingt zugleich. Dies war seit vielen Jahren das erste Mal, dass er ohne Aufsicht unterwegs war, dass er nicht bedroht wurde, dass er selbst entschied, welchen Weg er einschlug.
    Und welchen Weg sollte er einschlagen? Lange Zeit rannte er einfach nur, und er stellte fest, dass es in dieser Nacht viele Leute gab, die rannten. Er sah sie an Kreuzungen und Kreisverkehren, auf der Flucht vor irgendwelchen unbekannten Katastrophen, die ihnen im Nacken saßen.
    Jahrelang hatte er versucht, sich selbst abzustumpfen gegen die Taten, die von der Tinte auf seinem Rücken angeordnet und begangen worden waren (Erinnerungen an Morde, begangen in seinem Rücken, an die Schreie jener, die ihm so nahe gewesen waren und die er doch nicht hatte sehen können, begleiteten ihn). Dennoch hatte Paul diverse kriminelle Tricks gespeichert. Wie sollte er auch nicht? Er wusste, dass die meisten Flüchtigen wieder eingefangen wurden, weil sie die Strecke unterschätzten, die sie hinter sich bringen mussten, ehe sie etwas langsamer werden durften, also rannte er immer weiter.
    Seine Hand hielt das Gefäß mit der Tinte, und die Flüssigkeit biss ihm in den Daumen, wann immer sie aufspritzte. Für alles andere war sie zu schwach. Er wusste, er würde nicht nur von den Londonmantikern gejagt werden, sondern auch von den alten Mitarbeitern des Tattoos, die ihren Boss vermissten. Er wusste, man würde ihn finden.
    Goss und Subby mussten auf der Jagd sein. Wer sie kaufte, dem gehörten sie, und sie dürften rasend wild darauf sein, sich wieder in den Dienst der Illustration auf seinem Rücken zu begeben.
    Dieses Mal würde Paul als Krüppel enden. Er wusste, man würde ihn blenden, ihn ohne Gliedmaßen in einen Käfig sperren, ihn zwingen, mit Vitaminen angereicherten Haferschleim ohne die Zunge zu schlucken, die man ihm nehmen würde.
    Endlich wurde er langsamer, fühlte sich aber nicht müde. Vorsichtig schaute er sich um.
    »Macht dich das nicht verrückt?«, flüsterte er, so leise, dass ihn nur seine Haut hören konnte. »Nicht zu wissen, was los ist?« Blind und stumm. »Du musst doch spüren können, dass ich laufe.«
    Er hörte Glas brechen. Er fühlte magische Erschütterungen, die in den Nachrichten vermutlich nervös als Molotowcocktails bezeichnet werden würden. Paul schwang sich über ein Eisengeländer in eine von Unkraut überwucherte Ecke zwischen zwei Straßen, ein grüner Flüchtigkeitsfehler, zu klein für einen Park. Wie ein Tier auf der Flucht kauerte er sich außer Sichtweite der Häuser ins Gebüsch und dachte nach.
    Das Tattoo schwieg weiter. Endlich setzte Paul sich auf. Das Tattoo blieb still. Er legte das kleine Gefäß, das er sich geschnappt hatte, vor sich ab und starrte es an, als suche er eine Möglichkeit, sich mit diesem Feind seiner quälenden Haut verbünden, als wollte er sich mit

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