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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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woanders als in dieser Tiefgarage gelebt. Gefühle und Überraschungen hatten es schwer, an diesen Ort vorzudringen, also konnte sie einfach ganz ruhig sitzen bleiben.
    Es war nicht still. Alle Gebäude flüstern. Dieses tat es mit einem Tröpfeln und dem Scharren von Müll, der vom Wind vorangetrieben wurde, mit dem Atem des Betons. Mitten in der verlorenen Zeit erklang endlich ein neuer Atemzug, ein winziger Atemzug. Er stammte von dem Kewpie-Püppchen, das über Marges Armaturenbrett baumelte. Sie drehte den iPod leiser.
    »Paul«, sagte die kleine Figur mit einer winzigen Männerstimme. »Und du musst Marge sein.«
    »Wati«, sagte Paul. »Marge«, ergänzte er, »das ist Wati.« Er sprach sehr bedacht. Es war lange her, seit er zum letzten Mal etwas gesagt hatte. Marge schwieg. Sie musterte die Puppe und wartete. »Wo sind die anderen?«, fragte Paul.
    »Was hast du anzubieten, Paul?«, fragte die Puppe. »Was ist los? Willst du zurückkommen?«
    »Moment«, ging Marge dazwischen und wandte sich an die Figur. »Bist du ... Ist Billy bei dir? Wo ist er?«
    »Billy kann nicht kommen«, sagte das Ding. »Da gibt es gerade ein paar Probleme, um die er sich kümmern muss.« Wie traurig das Lachen klang, mit dem die Figur ihre Worte begleitete. »Er lässt aber grüßen. Er macht sich Ihretwegen große Sorgen. Hat nicht damit gerechnet, von Ihnen zu hören. Außerdem ist er auch irgendwie besorgt wegen ... Ihres Begleiters. Ich glaube, Sie sind nicht über alle wichtigen Punkte informiert, soweit es ihn betrifft. Paul, was hast du uns zu sagen?«
    »Ach, weißt du, du weißt schon, Wati. Jetzt, da du hier bist, weiß ich nicht einmal mehr, was ich sagen soll«, sagte Paul. »Ich habe so viel zu sagen, ich weiß überhaupt nicht - ich hatte Pläne, weißt du.« Er sprach schnell, ein Wasserfall an Worten. Marge starrte ihn an. So hatte er sich bisher nicht verhalten. »Was will ich? Wati, ich will, dass du da abhaust, glaube ich, und bring, bring auch Billy her, ich will, dass du ...« Er brach ab. Dann: »Du weißt doch, was passiert ist, Wati? Was die Londonmantiker vorhatten? Die wollten mich umbringen. Ist dir das klar? Findest du das in Ordnung?«
    »Wir wissen nicht genau, ob sie irgendetwas in der Art vorhatten, Paul. Aber wie soll es jetzt weitergehen? Was willst du?«
    »Sie waren ...«
    »Wo sind die kleinen Tropfen von Grisamentum?«, fragte Wati. »Sie waren in einem Fläschchen, richtig?« Paul verzog das Gesicht und wedelte mit der Hand: Nirgends, unwichtig. »Wohin führt der Weg von hier aus?«
    »Meiner führt nirgends hin, Wati, aber deiner sollte«, sagte Paul drängend. »Du solltest gehen. Schick Billy und Dane und die Londonmantiker her.«
    »Ich bin hier, um mir anzuhören, was du zu sagen hast«, entgegnete Wati.
    Erst in diesem Moment, nachdem sie die ganze Zeit dieser sonderbaren Diskussion vor dem Hintergrund der schauderhaften Musik in ihren Ohren gefolgt war, empfand Marge plötzlich einen beklemmenden Druck auf der Brust, hervorgerufen von dem Gedanken, von der Frage, ob es sich bei dem, was sie hier hörte, um die Verhandlungen im Zuge einer Geiselnahme handelte. Verhandlungen über sie.
    »Geh, Wati«, wiederholte Paul. »Geh jetzt.«
    »Nein, nicht«, sagte eine neue Stimme. »Nicht jetzt, wirklich nicht.« Marge kannte die Stimme. Zwei Leute näherten sich durch die Lichtkegel und die Schatten rund um die geparkten Fahrzeuge. Ein Mann und ein Junge. »Jetzt, da wir alle so schön beisammen sind, ist die Zeit gekommen, ein paar Dinge ein für alle Mal zu klären. Immerhin findet die Party heute Nacht statt, und alle werden da sein.«
    Goss und Subby.
    O du lieber Gott.
    Der anzügliche Kerl und der Junge mit dem ausdruckslosen Gesicht. Sie kamen aus dem Dunkel; die Trenchcoats befleckt mit Schmutz und geronnenem Blut, stolzierten sie durch den Schatten. Alle paar Atemzüge exhalierte Goss tabakfreien Rauch.
    Marge gab etwas wie ein klägliches Maunzen von sich. Sie tastete nach ihrem Autoschlüssel, doch er war fort. Sie wimmerte, konnte nicht atmen, drehte den iPod so brutal auf, dass ihre Ohren voll waren von einer dämlichen, krächzenden Interpretation von TLCs »No Scrubs«, so laut, dass es schmerzte. Einer der Ohrhörer fiel herab. Sie suchte auf dem Boden nach den Schlüsseln.
    »Lauft«, flüsterte Wati in der kleinen, kitschigen Figur. »Ich hole Hilfe.« Und fort war er. Marge fühlte, wie er entschwand.
    Aber so leise Wati auch gesprochen hatte, sie hörte Goss, als er steif

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