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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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sehen werden Sie. Da kommt noch mehr. Auf Wiedersehen.«

9
    Am Wohnungseingang, da, wo Collingswood herumgebastelt hatte, waren Spuren zu sehen. Winzige Kratzer. Ein kleiner Balsaholzdeckel, bündig mit der Holzoberfläche. Er schnippte ihn mit dem Fingernagel an.
    Es widerstrebte Billy, auf die wie auch immer geartete Schutzmaßnahme zu vertrauen, die man ihm zugestanden hatte, also schloss er die Tür zweimal ab. Dann starrte er durch die Scheibe zu dem Dach hinüber, auf dem sich das dreckige, verdammte Eichhörnchen verbarg. Er wünschte, es würde im Regen ersaufen.
    Er machte sich online auf die Jagd, konnte aber keinerlei Einzelheiten über das FSRC ausgraben. Es gab Tausende von Organisationen, zu denen diese Initialen passten, aber Barons Einheit war nirgends aufgeführt. Auf Vardys Seite bei der Universität ging Billy die Liste der Publikationen durch. »Ödipus, Charisma und Jim Jones«; »Sayyid Qutb und das Problem der psychologischen Ordnung«; »Die Dialektik von Waco«.
    Billy trank Wein vor dem stummgeschalteten Fernseher, ein eingeglastes Schattenspiel. Wie oft, überlegte er, erhielt jemand solch ein Angebot? Ein Ritter tritt aus dem Wandschrank und bietet dir ein anderes Leben, aber du musst sofort mitkommen. War der Kalmar irgendwo da draußen? Oder war er zerstört worden? Er traute seinen potenziellen Kollegen wenig. Ihre Rekrutierungsmethoden gefielen ihm nicht.
    Im Licht des Fernsehers musterte er die schlaff herabhängenden Vorhänge und erinnerte sich der obszönen Entdeckung im Museumskeller. Billy fühlte sich nicht besonders erschöpft. Er stellte sich das Fenster hinter dem Stoff vor. Auf einmal erwachte er mit einem Gefühl der Panik auf seiner Couch.
    Wann zum Teufel war er eingeschlafen? Er erinnerte sich nicht an irgendeinen Übergang vom Wachzustand in den Schlaf. Das Buch, an das er sich ebenfalls nicht erinnerte, rutschte wie eine unzureichende Decke an ihm herab. Es war dunkel. Billy ging auf, dass er ein Pochen an der Tür hörte.
    Ein Trippeln wie von den Füßen eines Geckos auf der Außenseite des Holzes, ein Nagel, der über die Oberfläche kratzte, und, ja, ein Flüstern. Billy war ganz still. Er sagte sich, es könne nur der Nachhall eines Traums sein, aber dem war nicht so. Das Geräusch erklang erneut.
    Billy schlich in die Küche und nahm sich ein Messer. Das leise, leise Geräusch setzte sich fort. Er legte ein Ohr an die Tür. Er schloss auf. Alldieweil verfolgte er verwirrt die eigene Tapferkeit und Ninjahärte. Als er die Tür aufstieß, wurde ihm bewusst, dass er natürlich Baron hätte anrufen sollen, statt sich in inkompetentem Vigilantismus zu ergehen. Aber nun war er in Fahrt, und die Tür schwang auf.
    Der Korridor war leer.
    Er schaute zu den benachbarten Türen. Da war kein Luftzug, kein verräterischer Wirbel, der auf eine schnelle Bewegung schließen ließ. Kein tanzendes Stäubchen. Billy sah gar nichts. Er stand dort Augenblicke, dann Minuten. Er lehnte sich hinaus wie eine Galionsfigur, um so weit den Korridor entlangzublicken, wie er nur konnte, ohne dabei die Füße aus der Wohnung zu setzen. Aber da war immer noch nichts.
    In dieser Nacht schlief er nicht in seinem Bett. Er trug seine Decke zum Sofa, das näher an der Wohnungstür stand, um besser hören zu können. Da waren keine Geräusche mehr, aber er schlief trotzdem kaum.
    Am Morgen aß er Toast in einer zu stillen Wohnung, während noch mehr Stille draußen auf den Fenstern lastete. Er öffnete die Vorhänge weit genug, um in den schmuddelig-grauen Tag hinauszublicken, zu den Bäumen und den Blättern, den herumgewehten Plastiktüten und dem erstaunlichen Lieblingsplatz des Eichhornvoyeurs.
    Er hatte sich nie mit einem Übermaß an Freunden umgeben, aber Billy fühlte sich auch nicht oft allein, jedenfalls nicht so wie jetzt. Er schickte Leon eine Textnachricht: »Kommst du rüber? Hab was zu erzählen. Bitte.« Ihm war zumute, als würde er sich aus einer Falle befreien, in die Collingswood und Baron ihn gelockt hatten. Tapferes, rebellisches Tier. Er hoffte nur, seine Flucht kam nicht dem Versuch gleich, sich das eigene Bein abzuknabbern.
    Als Leon eintraf, hängte sich Billy wieder zur Tür hinaus. »Was spinnst du denn jetzt herum?«, fragte Leon. »Das ist ein verdammt komischer Abend. Auf dem Weg hierher bin ich dreimal in einen Streit geraten, und das, wo ich doch so ein friedlicher Mensch bin. Ich habe dir deine Post mitgebracht. Und Wein.« Er hielt Billy eine Plastiktüte hin.

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