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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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war. Aber du bist es mir schuldig, wenigstens zuzuhören. Stimmt das etwa nicht? Nur zuhören?«
    Billys Blick wanderte zwischen dem zusammengekauerten Metallmann und dem Krakensektierer hin und her. »Kennst du Daveys Café?«, fragte die Statue. »Dort können wir uns gleich treffen. Und soweit es mich betrifft, werden wir dort Abschied nehmen, Dane. Ich kann dir einfach nicht glauben, Dane. Ich kann nicht glauben, dass du dich als Streikbrecher betätigt hast.«
    Etwas verschwand lautlos. Billy blinzelte.
    »Was war das?«, fragte er. »Mit wem haben wir geredet?«
    »Mit einem alten Freund von mir«, sagte Dane schwermütig. »Einem, der mit Recht sauer ist. Wirklich mit Recht. Dieses verdammte Eichhörnchen. Was bin ich doch für ein Idiot. Ich hatte einfach keine Zeit. Ich habe nicht geglaubt, dass ich es riskieren könnte. Ich war zu sehr in Eile.« Er sah Billy an. »Das liegt alles nur an Ihnen. Nee, Kumpel, ich werfe es Ihnen nicht vor. Sie wussten es ja nicht.« Er seufzte. »Das ist ...« Er deutete auf die Statue, die nun leer war. Billy wusste nicht, woher er das wusste. »Das war, wollte ich sagen, der Vorsitzende des Komitees. Der Arbeitnehmervertreter.«
    Leser näherten sich der Bibliothek, sahen die kleinen Tiergruppen, lachten und gingen weiter, während die, die so aussahen, als verstünden sie mehr, zögerten und wieder gingen. Die Anwesenheit der kreisenden Kreaturen trieb sie fort.
    »Sie sehen ja, was los ist.« Dane strich sich jämmerlich mit den Händen über den Kopf. »Das ist eine Streikpostenkette, und ich bin in Schwierigkeiten.«
    »Eine Streikpostenkette? Die Katzen und die Vögel?«
    Dane nickte. »Die Vertrauten streiken.«

25
    Von der elften Dynastie an, der Geburtsstunde des Mittleren Reiches, viele Jahrhunderte, bevor der Mensch Christus geboren wurde, sorgten sich die bessergestellten Anwohner des Nils um ihre Lebensqualität im Tode.
    Gab es keine Felder im Jenseits? Mussten die Feldfrüchte des Nachtlands nicht geerntet, die Höfe jeder dieser Stunden der Nacht nicht versorgt werden? Gab es da keine Haushalte und all die Aufgaben, die damit einhergingen? Wie konnte von einem Mann von Stand, der im Leben niemals seine eigenen Ländereien beackern würde, erwartet werden, dass er es nach dem Tode täte?
    In den Grüften wurden neben ihren mumifizierten Meistern die Uschebtis platziert. Sie würden es tun.
    Sie waren geschaffen, die Arbeit zu tun. Geschaffen allein für diese Aufgabe. Kleine Figuren aus Lehm oder Wachs, Stein, Bronze, kunstlosem Glas oder glasierter, irdener Fayence, überzogen mit Oxiden. Erst formte man sie als Imitationen ihrer Herren wie winzige Tote in ihrem Begräbniskleid. Später verzichtete man auf diese verschämte Heuchelei und gab ihnen stattdessen Queräxte mit, Hacken und Körbe, fest eingebaute Werkzeuge, geschnitzt oder gegossen als Teil ihrer mineralischen Fronkörper.
    Die Heerscharen der Figuren wurden über die Jahrhunderte immer zahlreicher, bis es für jeden Tag des Jahres einen Arbeiter gab. Diener und Arbeiter für die reichen Toten, geschaffen, um zu schaffen, zu tun, was getan werden musste in diesem postumen Wirtschaftswesen, auf dass die Felder der gesegneten Verstorbenen bestellt wurden.
    Jede war bei ihrer Erschaffung mit dem sechsten Kapitel des Totenbuchs beschriftet worden. Oh, Uschebti, zweites Ich, so stand es auf ihrer Haut. Sollte ich berufen oder verpflichtet werden, irgendeine Arbeit zu tun, die dort im Totenreich getan werden muss, so räume alle Hindernisse aus, die im Wege stehen, und verpflichte dich mir, die Felder zu bestellen, die Ufer zu bewässern und den Sand des Ostens nach Westen zu tragen. »Hier bin ich«, sollst du sagen. »Ich will es tun.«
    Ihr Daseinszweck stand auf ihre Leiber geschrieben. Hier bin ich. Ich will es tun.
    Es gibt kein Wissen über diese Membran hinaus, diesen Meniskus des Todes. Was von hier aus sichtbar ist, ist verzerrt, gebrochen. Alles, was wir haben, sind unzuverlässige, flüchtige Blicke ... das und die Gerüchte. Das Geplapper. Den Totentratsch: Dies ist das Echo jenes Geredes unter der Oberflächenspannung über dem Totenreich, das die besseren Medien hören können. Es ist, als lausche man geflüsterten Geheimnissen durch eine Klosetttür. Es ist ein vulgäres, gedämpftes Wispern.
    Wir nehmen an, wir ahnen oder wir glauben, wir hätten gehört und verstanden, dass es Mühsal an diesem Ort gab. Dort, in Neter-Khertet, pflegten die wabernden Toten des Königreichs, die

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