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Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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wilden Westen.«
    »Tja, so ist das eben.«
    »Aber er war ...« Er war immer noch in dem Tank. Er war immer noch tot und eingemacht.
    Die Nacht schien sich zu öffnen, als sie in eine Hauptstraße einbogen, eine Prachtstraße voller Neon mit einem primitiv gestalteten, beleuchteten Grillhähnchen und den drei Globen der Pfandleiher. »Sie haben sich gut geschlagen, Billy. Clem ist kein Schwächling. Es wird nicht lange dauern, bis er sich befreit hat. Wo haben Sie kämpfen gelernt?«
    »Er wollte mich umbringen.«
    »Sie haben sich gut geschlagen, Mann.« Dane nickte.
    »Etwas ist passiert. Und es hatte etwas mit dem Traum zu tun.«
    »Tja, das sage ich ja.«
    »Als ich aufgewacht bin, hat sich nichts geregt.«
    »Nicht mal eine Maus?«
    »Hören Sie, die Welt. Sie war ...«
    »Wie ich schon sagte, Kumpel«, sagte Dane. »Ich bin kein Priester. Kraken bewegen sich auf geheimnisvolle Weise.«
    Das hat sich nicht nach der Bewegung eines Kraken angefühlt, dachte Billy. Etwas hat etwas getan. Aber es hat sich nicht nach Krake angefühlt. Oder nach irgendeinem Gott.

31
    Das Gerücht machte die Runde. So ist das eben. Eine Stadt wie London zeigte sich stets als Paradoxon, ihre besten Seiten waren so sehr von ihrem Gegenteil durchwirkt, so voller moralischer Löcher wie ein Schweizer Käse. Da musste es einfach all diese Alternativen zu den offiziellen Wegen geben und zu jenen, auf die Londoner stolz waren: Da musste es vollkommen gegensätzliche Tendenzen geben.
    Dort, dort gab es keinen Status, der auch nur einen Scheiß zählte, keine Maßnahmen außer Selbsthilfe, keine Selbstregulation außer der, die auf Gewalt beruhte. Die Sonderpolizei wirft einen Blick auf das Geschehen und wird als Sekte toleriert oder kurzentschlossen umgebracht wie ein Haufen ungeschickter Anthropologen. »So, jetzt geht's ab, das FSRC ist wieder da.« Blinzelblinzel, stechstech.
    Auch ohne einen Herrscher nahmen die Dinge in London wirkungsvoll ihren Gang. Macht schuf Recht, und das war kein moralischer Grundsatz, sondern eine schlichte Tatsache. Es war wirklich Gesetz, dieses Gesetz, durchgesetzt von Türstehern, Kraftmeiern und Kopfgeldjägern, käuflichen Vorstadtshogunen. Mit Gerechtigkeit hatte das einen Scheiß zu tun. Man mochte dazu stehen, wie man wollte - und in London gab es zweifellos kriminelle Sozialrebellen -, aber so war es.
    Wenn nun also eine Macht verkündete, sie suche Kräfte zum Jagen und Apportieren, so war das wie eine Mitteilung über Polizeifunk - es war die Verkündung eines neuen, verbindlichen Systems von Recht und Ordnung. »Tattoo? Ernsthaft? Der hat doch genug eigene Leute. Wozu will der Außenstehende beschäftigen?«
    Das hatte er das letzte Mal getan, als er aufgehört hatte, Mensch zu sein, und zum Tattoo geworden war, als Grisamentum ihn in dem Gefängnis des Fleisches eines anderen Menschen festgesetzt hatte. »Wer immer mir Grisamentum bringt, dem gehört die Stadt«, das hatte er damals gesagt. Als jedoch namhafte Kopfgeldjäger, die den Auftrag angenommen hatten, wieder und wieder ostentativ tot aufgefunden wurden, ließ die Begeisterung für Tattoos Angebot nach. Das Tattoo blieb ungerächt.
    Nun gab es eine neue Situation. Hat jemand Interesse an einem Job?
    Sie trafen sich in einem Nachtclub in Shepherd's Bush, dessen Türen mit einem Seil gesperrt waren, an dem ein Schild mit der Aufschrift »Privatparty« hing. Die letzte Fachmesse lag schon lange Zeit zurück. Die versammelten Kopfgeldjäger und -jägerinnen begrüßten einander vorsichtig, aber höflich. Niemand verstieß gegen das Protokoll oder den Handelsfrieden des Saals. Wenn sie einander wetteifernd bei der Jagd nach einer Beute begegneten, klar, dann floss Blut. Aber hier nippten sie an ihren Drinks und verspeisten das gereichte Knabberzeug und betrieben Smalltalk. »Wie war es in Gehenna?« und »Ich hörte, du hast ein neues Grimoire.«
    Ihre Waffen hatten sie abgegeben. Ein Mann mit kiesiger Haut bewachte eine Garderobe voller Berettas, abgesägter Schrotflinten, Wurmpeitschen. Sie versammelten sich in kleinen Gruppen, die sich gemäß mikropolitischer Gesichtspunkte und Magieallergien zusammenfanden. Vielleicht zwei Drittel der Leute im Raum hätten jede Hauptstraße entlangspazieren können, ohne Verwunderung auszulösen, auch wenn ein paar ihre Kleider hätten wechseln müssen. Sie trugen jede Art urbaner Uniform und bildeten die ganze ethnische Vielfalt Londons ab.
    In diesem Raum war ein Riesenhaufen an Fähigkeiten vereint:

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