Der Kranich (German Edition)
musst du mir jetzt schon erklären.“
Lukas speicherte seine aktuellen Eingaben ab und seufzte. „Ich hab einfach seit ein paar Tagen das Gefühl, dass mir jemand folgt.“
„Hast du mit Dr. Elvert darüber gesprochen?“
Lukas lachte kurz auf. „Das hab ich mir gedacht. Du glaubst, dass ich spinne. Dass ich mir das einbilde, richtig?“
Stirnrunzelnd blickte Ralf auf den Computer. „Wie viele Stunden hast du vergangene Woche vor diesem Ding verbracht, Luke?“
Ohne auf die letzte Frage einzugehen, stand Lukas auf und sah aus dem Fenster auf die im dämmrigen Zwielicht liegende Straße hinunter. „Es ist mir relativ gleichgültig, was du denkst, ich bitte dich nur darum, Eva nichts zu sagen.“
Resigniert stellte Ralf, der es sich wieder im Sessel bequem gemacht hatte, die leere Flasche hin. Eigentlich hatte er vorgehabt, seinen Freund endlich einmal wieder unter Menschen zu bringen und war deshalb sogar ungewöhnlich früh aufgebrochen, doch er ahnte bereits, dass sein Vorhaben abermals zum Scheitern verurteilt war. Aber einen Streit wollte er um jeden Preis vermeiden. Das war offensichtlich das Letzte, was Lukas jetzt brauchte. Vorsichtig entgegnete er daher: „Was hat Eva damit zu tun?“
„Ich will sie einfach nicht in den ganzen Schlamassel mit reinziehen.“
Verzweifelt versuchte Ralf zu verstehen, was mit
dem ganzen Schlamassel
wohl gemeint war, doch bevor er nachfragen konnte, drehte Lukas sich um und sah ihn an.
„Das Ganze war ein Riesenfehler. Von Anfang an. Ich hätte niemals …“
„Was? Was hättest du niemals?“
„Verdammt noch mal, du warst doch dabei! Kalle war mein Freund! Ich hätte das niemals tun dürfen. Und jetzt … ich denke, es ist besser, ich beende es.“
Langsam begriff Ralf wenigstens in Teilen, worum es ging. Er war sich jedoch nicht sicher, ob Lukas die Wahrheit hören wollte. „Mikael war ein Arschloch, Luke. Du hättest nichts Besseres für Eva tun können, als sie da rauszuholen! Und bevor du irgendeine überstürzte Entscheidung triffst, solltest du dir vielleicht mal ein paar Gedanken darüber machen, dass sie dich liebt.“
„Selbst wenn das alles wahr wäre – die Situation hat sich geändert. Da braut sich was zusammen, Buddy, und ich will sie da nicht dabeihaben.“
„Du hast
was
getan?“ Ungläubig blickte Karl-Heinz Emmerich seinen Kollegen an.
Es war spät am Abend, und Emmerich war wieder einmal der Letzte, dessen Computermonitor noch fahles Licht im zweiten Stock des Wangener Firmensitzes verbreitete. Achtzig hochmoderne Arbeitsplätze befanden sich in der loftartigen Halle, aber jetzt waren sie verlassen, und die Entwicklungsabteilung hatte etwas fast Gespenstisches an sich. Vielleicht füllten die Geister unzähliger getöteter Avatare den Raum. Doch um diese subtilen Schwingungen wahrzunehmen, bedurfte es einer Sensitivität, die keiner der beiden Anwesenden besaß.
Mario Pross stand in der Tür, rauchte schweigend seine Benson & Hedges zu Ende und trat sie dann auf dem Fußboden aus.
„Ich hatte keine Wahl, Heinz. Ich hab es für Avaleet getan. Hätte ich vielleicht zusehen sollen, wie dieser Volltrottel meine Firma zugrunde richtet?“
Emmerich nahm einen Schluck aus der Bierflasche, die neben ihm auf dem Tisch stand. „Also, Weber ist immer noch …“
„Was?“, unterbrach Pross hitzig und näherte sich Emmerichs Computertisch. „Was ist Weber immer noch? Der Boss? Wolltest du das sagen? Ich werd dir sagen, was er ist: ein eitler, größenwahnsinniger Blender! Du weißt genauso gut wie ich, dass das IPO zu diesem Zeitpunkt finanzieller Selbstmord war. Außerdem weiß jeder in der Firma, dass mir der Vorsitz zugestanden hätte.
Ich
habe Avaleet aufgebaut. Er hatte einfach nur mehr Geld und hat sich Macht gekauft. Aber er hat keine Ahnung von Betriebswirtschaft und von Softwareentwicklung schon gar nicht!“
Emmerich leerte das Bier, behielt die Flasche jedoch in der Hand. „Und du meinst, das gibt dir das Recht, die Bilanzen zu manipulieren?“
„Du bist nicht in der Position, darüber zu urteilen.“
„Was soll das heißen?“
„Ich weiß von deinem kleinen Griff in die Firmenkasse.“
Emmerichs Atem wurde rasselnd, er griff in die Tasche und nahm einen Zug seines Sprays, dabei wäre ihm um ein Haar die leere Bierflasche aus der Hand gerutscht. Seine Gesichtszüge wurden noch einen Ton weißer. Sein Blick war ausdruckslos.
„Außer mir weiß niemand davon. Ich habe nicht vor, das gegen dich zu verwenden“, sagte
Weitere Kostenlose Bücher