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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Reizel
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spielt der Zeitfaktor natürlich eine existenzielle Rolle. Ich versuche den Menschen die Chance zu geben, ihre Angelegenheiten aus einem befreiten Erwachsenen-Ich heraus zu regeln – solange sie dazu noch in der Lage sind. Erst dann können sie loslassen.“
    „Und wie … ich meine, wie schaffst du es, dabei nicht auszubluten?“
    „Diese Arbeit ist das bei weitem Sinnvollste und Bereicherndste, was ich in meinem bisherigen Leben getan habe. Ich habe nirgends mehr Klarheit, mehr Dankbarkeit und mehr Authentizität erlebt, als im Umgang mit meinen sterbenden Klienten.“
    Elvert leerte sein Glas und dachte über Helmut Fechters Worte nach. Die katalytische Funktion der Gruppe und die zwangsläufige Hierarchie in der Arzt-Patient-Begegnung, die Helmut postulierte, hätten aus seiner Sicht einer weiteren Klärung bedurft, doch er fühlte sich plötzlich zu müde, um diesen Punkt zu vertiefen. Stattdessen verspürte er mit einem Mal das drängende Bedürfnis, sich mit der Frage seiner eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen, so wie Helmut das offensichtlich getan hatte. Doch das war ein Thema, das er nicht mit Karin erörtern konnte.
    Nachdenklich blickte er zu Christine Seifert hinüber, die inzwischen in einen hitzigen Disput mit Matthias verstrickt war, den jedoch nur sie selbst ernst zu nehmen schien. Nach dem dritten Rotwein und von der intensiven Diskussion sichtlich erschöpft erhob sie sich schließlich, legte etwas Geld auf den Tisch und verabschiedete sich. Helmut schloss sich ihr wenig später an. Matthias, der gewöhnlich das beste Sitzfleisch hatte, winkte der Kellnerin und bestellte ein weiteres Bier. Nach kurzem Zögern nahm auch Elvert noch ein Glas, und sie gingen zum privaten Teil des Abends über.
    „Du hast lange nichts von dir hören lassen, Gustav. Geht’s dir gut?“
    „Na klar. Ich hatte viel zu tun, das ist alles.“
    „Du arbeitest zu viel. Das bekommt auf die Dauer nicht einmal dir.“
    „Ich weiß.“
    „Du solltest dir eine Freundin zulegen. Ich kenne da eine ganz entzückende Kunsttherapeutin …“
    Elvert lachte. Dass sein Freund ihn zu verkuppeln versuchte, war nicht neu. „Eine Kunsttherapeutin?“
    „Sie ist noch nicht lange in Stuttgart und sucht Anschluss.“
    „Ich weiß deine Bemühungen wirklich zu schätzen, Matto, aber – nein danke.“
    Peters zuckte mit den Schultern. „Okay. Und sonst?“
    Elvert überlegte einen Moment. „Was weißt du über künstliche Intelligenz?“
    Matthias Peters runzelte die Stirn. „Künstliche Intelligenz? Nicht allzu viel. Während meines Auslandssemesters in Massachusetts hatte ich mal kurz mit Cyc zu tun. Ich fand das damals sehr spannend, habe es aber nicht weiterverfolgt. Aus Zeitgründen.“
    „Cyc?“
    „Ich war zwar an der UMass in Amherst, wo ich clinical psychology belegt hatte, pflegte aber gute Kontakte zu einer Hackergruppe vom MIT …“
    Die Kellnerin kam mit den Biergläsern, und sie tranken einen Schluck.
    Matthias wollte weitersprechen, doch Elvert hob beschwichtigend die Hand. „Bitte so, dass es ein Nichtinsider auch versteht.“
    „Das Massachusetts Institute of Technology in Cambridge ist sozusagen die Wiege der Hackerszene. Und zusammen mit dem CERN auch die des World Wide Web. Am MIT gibt es ein Institut, das eine führende Rolle im Bereich Computertechnik und künstliche Intelligenz spielt, das MIT Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory, das ans BIRN angeschlossen ist, das nationale US-amerikanische Forschungsnetzwerk für Biomedizin. Wie auch immer, die Jungs – Hippies alter Schule, versteht sich – waren wesentlich spannender als alles, was an der UMass so rumlief, also fuhr ich, wann immer ich es einrichten konnte, nach Cambridge rüber. Manchmal zogen wir dann zusammen weiter nach Boston … Also jedenfalls waren sie gerade unter anderem mit der Entwicklung von Cyc beschäftigt. Cyc ist eine gigantische, maschinenauswertbare Datenbank des Alltagswissens und damit eine Grundlage für die Weiterentwicklung der A.I. Allerdings ist meines Wissens vom Hype der achtziger Jahre in diesem Bereich inzwischen nicht mehr allzu viel zu spüren. Die meisten – aus heutiger Sicht weit überzogenen – Erwartungen haben sich nicht erfüllt und werden sich wahrscheinlich auch nie erfüllen. Übrig geblieben sind die Anwendungen in der Robotik und Simulationen, die hauptsächlich für Spiele benutzt werden. So was wie
Deep Blue
. Das ist allerdings keine A.I. im engeren Sinne.“
    Erstaunt

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