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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Reizel
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Regionalstelle des Internetanbieters, von der aus Telefonüberwachungen bearbeitet, Verbindungsdaten für Strafverfahren sortiert und Anschlüsse ermittelt wurden. Es ging darum, die Wohnanschrift des Forumsteilnehmers ohne Zeitverzug ausfindig zu machen. Kostbare Stunden waren seit dem Eingang der Nachricht bereits verstrichen, Stunden, die über sein Leben entscheiden konnten.
    „Es kommt relativ oft vor, dass psychisch schwer belastete Teilnehmer ihren Suizid auf diese Weise ankündigen“, sagte Nadine Friedmann später aus. „In unserem wie auch in anderen Foren. Wenn der Beitrag schnell entdeckt und dann unverzüglich gehandelt wird, besteht jedoch eine gute Chance, die jungen Menschen noch zu retten. Und sie sind fast ausnahmslos sehr jung. Sie haben ihr ganzes Leben noch vor sich.“
    Doch immer wieder kam es zu bürokratischen Problemen. So auch in diesem Fall. Als die Kölner Beamten beim Provider eintrafen, wurden sie mit kaltschnäuziger Gleichgültigkeit empfangen. Es fehle die Rechtsgrundlage, die die Herausgabe der Daten rechtfertige, hieß es. Selbst die offensichtliche unmittelbare Lebensgefahr für den Teilnehmer ließ die zuständigen Mitarbeiter unbeeindruckt. Das LKA wurde eingeschaltet, zunächst ohne Erfolg. Weitere Zeit verstrich, und als endlich eine richterliche Verfügung vorlag, ging bereits die Sonne auf.
    Dass Martin Beier sich am Samstagmorgen im Präsidium befand, war nicht ungewöhnlich. Dass er sich genau in dem Moment vor dem Büro des zuständigen Kollegen befand, als der Anruf aus Köln einging, war dagegen reiner Zufall. Henk van Buyten war ein alter Freund. Martin Beier schätzte die unaufgeregte und herzliche Art des Niederländers und nahm des Öfteren seinen Morgenkaffee mit ihm ein.
    Als der Anruf kam, stand Martin Beier lässig an den Türrahmen gelehnt, und als Henk die Adresse an eine Streife weitergab, verschüttete er seinen Kaffee.
    „Entschuldige bitte. Kannst du das noch mal wiederholen?“
    „Das fällt nicht in dein Ressort, aber wenn’s dich interessiert. Ein vermutlicher Suizid in der Rosenbergstraße … was war noch gleich die Nummer … sechsundsiebzig. Das ist schon der Dritte in dieser Woche! Können die nicht wenigstens am Wochenende mal Pause machen?“
    „Wie ist der Name?“ fragte Martin Beier atemlos. Er kannte die Adresse, und er hatte sofort ein schlechtes Gefühl. Nach fünfundzwanzig Dienstjahren täuschte ihn sein Bauchgefühl selten.
    Sein Kollege sah ihn erstaunt an und blickte auf seinen Notizzettel. „Stegmann. Lukas Stegmann, warum?“
    Martin Beier blieb ihm die Antwort schuldig. Er warf den halbleeren Pappbecher in den Mülleimer und stürzte zur Tiefgarage.
    Im vierten Stock des teuren Appartementhauses an der Neuen Weinsteige hatte sich ein hässlicher Fleck an der Decke im Badezimmer gebildet. Etwas später lösten sich erste Tropfen, fielen tickend in die Badewanne und auf die hellblauen Kacheln. Als die Mieterin von einer ausgedehnten vormittäglichen Shoppingtour zurückkam, war bereits eine ansehnliche Pfütze entstanden, und die Frau traf fast der Schlag.
    Sie ließ die Einkaufstüten fallen, rannte die Treppe hinauf und klingelte im fünften Stock Sturm, doch es wurde nicht geöffnet. Der Portier hatte am Wochenende frei, von der Verwaltung war niemand zu erreichen, also sah sie sich nach kurzem Zögern genötigt, die Polizei zu informieren. Schließlich konnte sie ja nicht das ganze Wochenende zusehen, wie der Wasserschaden ihre Wände versaute!
    Als die Beamten eine Stunde später zusammen mit der Feuerwehr die Wohnungstür öffneten, bot sich ihnen ein erschreckendes Bild. Das Wasser der überlaufenden Badewanne hatte nicht nur den Badezimmerboden überschwemmt, sondern bereits den Teppichboden des gesamten Wohnzimmers durchtränkt. Er war beige und sehr dick. Am Eingang zum Badezimmer hatte er sich rot gefärbt.
    Die eilig herbeigerufenen Rettungssanitäter gaben dem blutüberströmten Mann am Boden zunächst keine Chance. Routinemäßig wurde er reanimiert, stabilisiert, ins Marienhospital gebracht. Dass er seine Augen jemals wieder öffnen würde, glaubte zu diesem Zeitpunkt keiner.
    Währenddessen liefen in der Landespolizeidirektion am Pragsattel die Telefone heiß. Auch der Apparat von Martin Beier klingelte, doch er antwortete nicht. Er befand sich nicht in seinem Büro.
    Ich beobachtete die kleinen Wellen, die rhythmisch ans Ufer klatschten. Leichter Wind kräuselte den Teil des Sees, auf dem sich kein Eis mehr

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