Der Krater
nicht mal zu einem Viertel voll. Das ist ein einziges Massaker.«
Khon schüttelte den Kopf. »Willkommen im Reich des Massakers. Und jetzt verlasse es wieder.«
»Nein. Ich werde nicht einfach weggehen.«
»Was sollen wir denn tun?«
»Die Mine sprengen.«
21
M ark Corso umklammerte die CD - ROM mit einer Hand und spürte, wie der Schweiß von seinen Fingern an der Plastikhülle kleben blieb. Er betrat zum ersten Mal den MMO -Konferenzraum, das Allerheiligste der Marsmission. Es war eine Enttäuschung. Die abgestandene Luft roch nach Kaffee und Teppichreiniger. Die Wände waren mit billigem Furnier getäfelt, das stellenweise Blasen geworfen hatte. Kunststofftische an den Wänden waren mit Flatscreen-Monitoren, Oszilloskopen, Tastaturen und anderen durcheinandergewürfelten technischen Geräten beladen. Eine Leinwand, die aus der Decke heruntergelassen worden war, bedeckte eine Wand, und der hässlichste Konferenztisch, den er je gesehen hatte, in braunem Resopal mit Aluminiumleisten am Rand und metallenen Beinen, nahm die Mitte des Raumes ein.
Corso setzte sich vor ein kleines Plastikschild mit seinem Namen darauf. Er holte seinen Laptop hervor, schloss ihn an die Stromversorgung an und fuhr ihn hoch. Inzwischen trudelten auch die anderen Techniker ein, unterhielten sich, machten Witze und schenkten sich schwachen kalifornischen Kaffee aus einer uralten Kaffeemaschine in der Ecke ein.
Marjory Leung setzte sich neben ihn und stöpselte ebenfalls ihren Laptop ein. Ein Hauch Jasmin wehte zu ihm herüber. Sie war unerwartet schick in einem eleganten schwarzen Kostüm, und Corso war froh, dass er heute Morgen sein bestes Jackett und eine seiner teuersten Seidenkrawatten angezogen hatte. Von weißen Laborkitteln war nirgends eine Spur zu sehen.
»Nervös?«, fragte sie.
»Ein bisschen.« Dies war Corsos erste Besprechung im Führungsteam, und er war als dritter von zehn Sprechern dran; für jeden waren fünf Minuten plus Zeit für Fragen vorgesehen.
»Bald ist das reine Routine.«
Es wurde still im Raum, als der Direktor der MMO -Mission, Charles Chaudry, sich von seinem Platz am anderen Ende des Tisches erhob. Corso mochte Chaudry – er war jung und hip, trug das früh ergraute Haar straff zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, und er war absolut genial und dennoch auf dem Teppich geblieben. Alle kannten seine Lebensgeschichte: Er war in Kaschmir geboren und als Baby aus Indien in die USA gekommen, mit der Flüchtlingswelle, die der zweite Indisch-Pakistanische Krieg 1965 ausgelöst hatte. Er hatte sich aus dem Nichts hochgearbeitet – eine klassische Geschichte vom erfolgreichen Einwanderer – und an der Universität von Berkeley in Astrogeologie promoviert. Für seine Doktorarbeit hatte er den Stockton Award bekommen. Wie zum Ausgleich für seine ausländische Geburt war Chaudry durch und durch Amerikaner, ja sogar Kalifornier – Kletterer, Mountainbiker und begeisterter Surfer, der es mit den Winterwellen von Mavericks aufnahm, die als gefährlichste Brandung der Welt galten. Gerüchteweise hieß es, er entstamme einer reichen Brahmanenfamilie von obskurem Adel und trüge zu Hause einen schicken Titel wie Pascha oder Nawab – so wurde jedenfalls gewitzelt, aber genau wusste es niemand. Er war ein wenig eitel, aber das war an der NPF ein verbreiteter Charakterzug.
»Willkommen«, sagte er beiläufig und lächelte mit weißen Zähnen in die Runde. »Die Mission macht großartige Fortschritte.« Er zählte kurz einige der jüngsten Erfolge auf, wies auf einen begeisterten Bericht im Wissenschaftsteil der
New York Times
hin, zitierte einen weiteren Artikel im britischen
New Scientist
, erwähnte nicht ohne Schadenfreude die Probleme, die das chinesische Hu-Jintao-Projekt vermutlich hatte, und machte ein paar Witze.
»Und jetzt«, sagte er, »kommen wir zu den Präsentationen unserer Daten.« Er schaute auf ein Blatt Papier hinunter. »Fünf Minuten für jeden, danach Fragen. Wir fangen mit dem Wetterbericht an. Marjory?«
Leung stand auf und begann mit ihrem Vortrag, einer PowerPoint-Präsentation über das Wetter auf dem Mars. Sie zeigte Infrarot-Aufnahmen von äquatorialen Eiswolken, die kürzlich vom MMO fotografiert worden waren. Corso versuchte, sich zu konzentrieren, war aber zu abgelenkt. Sein großer Augenblick rückte immer näher – fünf Minuten für seinen ersten Eindruck als Leitender Techniker. Er war im Begriff, ein sehr riskantes Manöver zu fahren, was ganz untypisch für ihn war,
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