Der Krater
einander zu unterbrechen, während Ford sie mit interessierter Miene und großen Augen ermunterte und hin und wieder erstaunte Ausrufe einwarf. Wieder einmal staunte Abbey über Fords chamäleonartige Fähigkeit, eine Rolle zu spielen und dadurch an Informationen zu gelangen.
»Mrs. Corso und ihr Sohn Mark … Er ist gerade erst aus Kalifornien zurückgekommen … Reizende Frau, der Mann ist vor ein paar Jahren an einem Herzinfarkt gestorben … Hat es seitdem nicht leicht gehabt … Wohnen schon ihr Leben lang hier … Ein guter Junge, hat immer fleißig gelernt, war an der Brown University … Bei Moto’s hat er gearbeitet, um sich was dazuzuverdienen … Kommt mir vor, als hätte er gestern noch im Park Baseball gespielt … Eine Tragödie …«
Als die sprudelnden Informationsquellen ausgeschöpft waren, zogen Ford und Abbey sich an den äußersten Rand der Menge zurück. Fords Miene war düster. »Wie lautete seine Stellenbezeichnung in der Personalakte?«, fragte er Abbey.
»Leitender Techniker Datenanalyse.«
Ohne ein weiteres Wort klappte Ford sein Handy auf, wählte die Telefonzentrale der NPF und ließ sich mit Derkweiler verbinden.
»Hier spricht Ford von der Agency«, sagte er knapp. »Dieser Corso, der für Sie gearbeitet hat – was genau hat er gemacht, und warum wurde er entlassen?«
Lange herrschte Stille, während Ford seinem Gesprächspartner lauschte. Abbey konnte Derkweilers Stimme ganz schwach aus dem Telefon quaken hören. Ford bedankte sich und legte auf.
»Also?«, fragte Abbey.
»Er war dafür zuständig, Radar- und Fotodaten des Mars Mapping Orbiters zu bearbeiten.«
»Und?«
»Und für die außerordentliche Kündigung gab es einen schwerwiegenden Grund. Derkweiler sagt, Corso habe sich nicht ›angemessen an den Prioritäten orientiert‹ und sei ›von irrelevanten Gammastrahlungsdaten besessen‹ gewesen. Er habe sich geweigert, Anweisungen zu befolgen, und bei einer internen Konferenz eine Szene gemacht.«
Abbey überlegte kurz. »Besessen, ja?«
Ford räusperte sich.
»Was wissen Sie über Gammastrahlung?«
»Dass vom Mars keine kommen dürfte.«
52
H arry Burr saß in einem griechischen Lokal am McGolrick Park, mit einem Cheeseburger, Kaffee und der
Post
und sah zu, wie der Regen in immer neu verzweigten Rinnsalen an der Fensterscheibe hinabrann. Solche Rinnsale gehorchten mathematischen Regeln, Regeln, die das Chaos beschrieben. So ähnlich wie die Regeln, die einen Mord beschrieben. Kontrolliertes Chaos. Denn man konnte nie mit allem rechnen. Es gab immer eine Überraschung: Etwa, dass die liebe alte Mutter doch im Haus war, nachdem Corso ihm erzählt hatte, er sei allein. Oder dass er gezwungen gewesen war, Corso zu töten.
Immer eine kleine Überraschung.
Er richtete den Blick nach draußen. Von seinem Platz aus überschaute er die Ecke des McGolrick Park und das Reihenhaus, in dem er Corso und seine Mutter umgelegt hatte. Der Fachidiot hatte ihm gerade sagen wollen, wo die Festplatte versteckt war, er hatte sich vor lauter Mitteilungsbedürfnis schon in die Hose gepinkelt – und dann war die Alte reingekommen.
Er nippte an dem starken Kaffee, blätterte in der
Post
und sah sich die Vorstellung da drüben an. Er hatte die Festplatte noch nicht gefunden, aber er kannte die Bar, in der Corso arbeitete, und die Adresse seines ehemaligen Mitbewohners. Die Festplatte war entweder in der Bar oder bei dem Freund, bei dem er früher gewohnt hatte. In der Bar würde er zuerst nachsehen. Wenn Corso wirklich schlau war, hätte er sie per Post an sich selbst geschickt oder vielleicht sogar in einem Bankschließfach deponiert. Aber er war ziemlich sicher, dass Corso sie ganz in seiner Nähe hatte haben wollen.
Er nippte noch einmal an seinem Kaffee, blätterte eine Seite seiner Zeitung um und tat so, als lese er. In dem Restaurant war nicht viel los gewesen, und jetzt war es leer, denn die meisten Gäste hatten rasch aufgegessen und waren in den Park gegangen, um sich die Show anzusehen. Er behielt die Menge im Auge und suchte nach jemandem, der ein Verwandter, ein Freund – eine Freundin – sein könnte, dem oder der Corso die Festplatte möglicherweise gegeben hatte.
Zwei Leute im Park erregten allmählich seine Aufmerksamkeit, ein schwarzes Mädchen und ein großer Mann mit zerfurchtem Gesicht. Die beiden kamen ihm für einfache Gaffer aus der Nachbarschaft ein wenig zu aufmerksam vor, ein wenig zu losgelöst von den Übrigen. Sie beobachteten, hörten sich um. Sie
Weitere Kostenlose Bücher