Der Kreis aus Stein
Zauberer deines Vaters kennengelernt.«
»Es sind schwache Zauberer. Den meisten sind noch nicht mal Kiemen gewachsen. Die mächtigsten Wasserzauberer leben draußen im tiefen Ozean, nicht in der Nähe der Küste.«
»Aber trotzdem beschützen sie euer Volk. Es ist ein beständiges Land.«
»Oh ja«, meinte Gaborn. »In Mystarria sind wir immer um Gelassenheit bemüht. Sehr beständig. Man könnte auch sagen, langweilig.«
»Red nicht so schlecht darüber«, sagte Iome. »Dein Vater ist mit dem Wasser fest verbunden. Das sehe ich. Er hat eine Art… die Unbeständigkeiten auszugleichen. Hat er einen seiner Zauberer mitgebracht? Ich würde gerne einen kennenlernen.«
Iome vermutete, daß er es getan hatte, daß er möglicherweise einen seiner Wasserzauberer mitgebracht hatte, wenn er Soldaten mitgenommen hatte, um sie aufmarschieren zu lassen und seine Macht zu demonstrieren. Sie hoffte, daß ein solcher Zauberer helfen konnte, Raj Ahten in Longmot zu bekämpfen.
»Zuerst einmal sind es nicht ›seine‹ Zauberer, ebensowenig, wie Binnesman dein Zauberer sein könnte…«
»Aber er hat einen in seinem Gefolge?«
»Fast«, antwortete Gaborn, und sie sah, daß auch er die Hilfe des Zauberers wollte. Bei Wasserzauberern konnte man sich darauf verlassen, daß sie sich im Gegensatz zu Erdwächtern regelmäßig in die Angelegenheiten der Menschen einmischten.
»Aber es ist eine lange Reise, und in den ausgedehnten Ebenen von Fleeds gibt es nicht viel Wasser…«
Dann begann Gaborn, ihr von seinem Leben in Mystarria zu erzählen, dem Haus des Verstehens mit seinen vielen sogenannten Sälen, die über die ganze Stadt Aneuve verteilt lagen.
Einige dieser Säle waren große Hallen, wo Tausende zusammenkamen, um Vorlesungen zu hören und an Diskussionen teilzunehmen. Andere waren gemütlich, eher so wie die Bürgerstube eines eleganten Wirtshauses, wo gelehrte Lehrmeister winters neben tosenden Feuern saßen, wie die Lehrmeister früher, am Grog nippten und unterrichteten…
Iome wurde aus dem Schlaf gerissen, als Gaborn unter ihr sein Gewicht verlagerte und sie sanft an der Schulter rüttelte.
»Komm, meine Liebste«, sagte er leise. »Wir müssen aufbrechen. Das waren fast zwei Stunden.«
Regen wehte aus dem wolkenverhangenen Himmel herab.
Sie sah sich um. Der Baum über ihnen bot überraschend guten Schutz, denn der Regen hatte sie nicht durchnäßt und so schon früher geweckt. Sie wunderte sich, daß sie überhaupt geschlafen hatte, doch jetzt sah sie, daß Gaborn seine Stimmgewalt dazu benutzt hatte, sie in den Schlaf zu singen und immer leiser in einem halb gesungenen Rhythmus auf sie eingesprochen hatte. Ihr Vater saß neben ihr, hellwach, die Hand ausgestreckt, während er versuchte, nach irgendeinem imaginären Gegenstand zu greifen. Er lachte leise in sich hinein.
Auf Schmetterlingsjagd.
Iomes Gesicht, Hände und Körper, alles fühlte sich taub an.
Ihr Verstand wurde wach, nicht aber ihre Glieder. Gaborn half ihr, als sie sich schwankend erhob. Sie überlegte, wie sie am besten für ihren Vater sorgen konnte. Raj Ahten hat aus mir ein altes Weib mit nichts als Sorgen gemacht, und aus meinem Vater ein kleines Kind, dachte sie.
Wütend wünschte sie sich plötzlich, daß ihr Vater so bleiben konnte, sich die Unschuld und das Staunen bewahren konnte, die ihm jetzt zu eigen waren. In gewisser Weise hatte Raj Ahten ihrem Vater eine Freiheit geschenkt, die er zuvor nie gekannt hatte.
»Die Pferde sind ausgeruht«, sagte Gaborn. »Die Straßen werden langsam schlammig, trotzdem müßten wir gut vorankommen.«
Iome nickte und mußte daran denken, wie er sie vor ein paar Stunden geküßt hatte – und plötzlich war sie hellwach. Alles, was gestern geschehen war, erschien ihr jetzt als Traum.
Gaborn stand einen Augenblick vor ihr, dann packte er sie derb, küßte kurz ihre Lippen und ließ keinen Zweifel mehr daran, daß ihre Erinnerung an diesen Abend sie nicht trog.
Sie fühlte sich schwach und matt, trotzdem ritten sie durch die Nacht, ließen die Pferde laufen. Binnesman hatte ihnen ein überschüssiges Pferd von Raj Ahtens Leuten dagelassen, also hielten sie jede Stunde an, um die Pferde zu wechseln und den Tieren reihum eine Erleichterung zu gönnen.
Sie flogen wie der Wind durch Dörfer, und während sie so dahinritten, überkam Iome eine äußerst lebhafte Erinnerung an einen Traum, den sie in Gaborns Armen gehabt hatte: Sie träumte, sie stände auf dem Turm des Horstes, nördlich des
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