Der Kreis aus Stein
sah über den Fluß. Er hatte für eben diesen Augenblick eine Laterne unter der Traufe seines Daches zurückgelassen, doch deren Licht benötigte er nicht.
Dort standen die Soldaten, am anderen Ufer. Ritter in voller Rüstung, die vier Vorreiter mit flackernden Fackeln, um ihnen den Weg zu leuchten. Der Schein der Fackeln spiegelte sich auf den Messingschilden und der Wasseroberfläche. Der Anblick der Ritter machte ihm angst – die weißen, in die Helme der Unbesiegbaren eingravierten Flügel, die leuchtendroten Hunde auf ihren Wappenröcken. Mastiffs und Riesen und noch finsterere Wesen waren ebenfalls zu erkennen.
»Seid gegrüßt, Freunde, was wollt ihr?« rief Hark. »Die Brücke ist nicht passierbar. Ihr könnt nicht herüber. Die nächste Möglichkeit findet ihr flußaufwärts, bei der Wildschweinfurt. Zwanzig Meilen! Immer den Pfad entlang!«
Er nickte ermutigend, zeigte ihnen den Weg. Ein selten benutzter Pfad führte hinauf zur Furt. Die Nachtluft roch schwer nach Regen, und der Wind blies Hark ins Gesicht und trug den Geruch von Fichten heran. Das dunkle Wasser des Flusses schlug leise plätschernd an die Ufer.
Die Soldaten betrachteten ihn schweigend. Müde, wie es schien. Vielleicht sprachen sie auch seine Sprache nicht. Stauer Hark kannte ein paar Brocken Muyyatin.
»Chota! Chota!« brüllte er, und zeigte Richtung Furt.
Plötzlich bahnte sich eine schattenhafte Gestalt zwischen den Reitern hindurch den Weg nach vorn. Ein kleiner, finsterer Mann mit funkelnden Augen und ohne Haar. Er sah über den Fluß zu Hark hinüber und grinste breit, als hätte der Wirt einen Scherz gemacht.
Er ließ sein Gewand von den Schultern gleiten und war nackt. Einen kurzen Augenblick lang schienen seine Augen aufzuleuchten, dann züngelte eine blaue Flamme um die Ränder seines Gesichts und stieg auf in die Nacht.
»Die Finsternis einer Täuschung – ich kann sie in dir erkennen!« rief der kleine Mann.
Er hob die Faust, und eine blaue Flamme schoß an seinem Arm entlang, kam über die Flußoberfläche gesprungen wie ein Stein und hüpfte auf Stauer Hark zu.
Der Wirt brüllte vor Entsetzen, als die Flamme die Seitenwand seines Wirtshauses streifte. Das uralte Holz schrie wie gequält und loderte wie Zunder auf. Das Öl in der Lampe, die er unter der Traufe aufgehängt hatte, spritzte über die ganze Wand.
Dann schoß das kleine blaue Licht zurück über den Fluß und kam in den kleinen Augen des Mannes zur Ruhe.
Stauer Hark rannte schreiend in sein Wirtshaus, um seine Frau und seine Gäste herauszuholen, bevor das gesamte Gebäude lichterloh brannte.
Als er seine Frau und seine Gäste schließlich aus ihren Betten gezerrt hatte, waren die Flammen schon auf das Dach übergesprungen und züngelten flackernd in die Höhe.
Stauer Hark hustete wegen des Rauchs, rannte hinaus und blickte über den Fluß. Der dunkle Mann stand da und sah ihn breit grinsend an.
Er winkte dem Wirt mit einer kleinen, schwungvollen Handbewegung zu, dann machte er kehrt und ging die Straße hinunter – flußabwärts zu Powers Brücke, gut dreißig Meilen östlich. Das bedeutete einen großen Umweg für Raj Ahtens Armee, aber wenigstens würden die Soldaten nicht in Ordens Hinterhalt geraten.
Stauer Hark merkte, wie sein Herz klopfte. Für einen dicken alten Wirt war es ein langer Weg, zu Pferde nach Longmot zu gelangen, und Kraftpferde gab es im Ort nicht. Er konnte Orden nicht warnen, daß sein Hinterhalt mißlingen würde. Er käme niemals rechtzeitig, wenn er nachts durch die Wälder ritt.
Im stillen wünschte er Orden alles Gute.
KAPITEL 10
Verrat
Im letzten Licht des Tages inspizierte König Mendellas Orden die Befestigungsanlagen von Longmot und überlegte, wie sich der Fels am besten verteidigen ließe. Es war eine eigenartige Burg, deren Außenmauern außergewöhnlich hoch und aus dem Granit eben jenes Felsens geschlagen waren, auf dem Longmot stand. Die Festung besaß weder einen zweiten noch einen dritten Mauerring, wie er in größeren Burgen wie Sylvarresta üblich war. Sie hatte kein feines Kaufmannsviertel, sondern enthielt außer dem Bergfried für den Herzog, seine Soldaten und die Übereigner nur zwei befestigte Wohnhäuser für weniger bedeutende Barone.
Doch die Mauern waren massiv und wurden von Erdrunen der Bande geschützt.
Das höchste Bauwerk im Bergfried war der Horst der Graaks – ein rein funktionales Gebäude auf einer Felszinne, auf dem bis zu sechs der großen fliegenden Reptilien nisten
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