Der Kreis aus Stein
dieser Mann? Warum nicht jetzt?
Gaborns Days sagte: »Wenn er Eure Frage beantwortet, bricht er damit einen äußerst heiligen Schwur. Sein Zwilling würde es erfahren.« In diesen Worten schwang eine Drohung mit. Beobachter, die Beobachter beobachteten. »Ich bin sicher, Ihr versteht, mein Lord.«
In Wirklichkeit verstand Orden es nicht. Eine solche Härte war für ihn fast vollkommen unbegreiflich. Ihm erschienen die Days und ihre Religion wunderlich und seltsam. Jetzt fand er sie dazu noch hartherzig.
Trotzdem wollte er sie verstehen. Gaborns Days blieb hier, anstatt zum Prinzen zu gehen. Warum? War sein Sohn gestorben, so daß der Days ihm nicht folgen konnte? Oder wartete der Days lediglich darauf, daß Gaborn hierher zurückkehrte? Oder… hatte selbst der Days seinen Sohn aus den Augen verloren?
Orden grübelte. Der Days hatte ihn ›Euer Lordschaft‹
genannt, ein Titel, den er noch nie zuvor benutzt hatte. Der Mann wollte sprechen, es fiel ihm schwer, seine Zurückhaltung zu wahren. Noch beherrschte er sich, wollte aber alle unangenehmen Gefühle in dieser schmutzigen Affäre vermeiden.
Durfte ein Days ihn nicht beraten, selbst wenn er sein eigenes Leben dadurch verwirkte? Orden hatte Geschichte studiert und wußte, daß sie in manchen Kriegen Geheimnisse preisgegeben hatten. Das Schicksal dieser Days hatte Orden allerdings nie erfahren.
Die Chroniken berichteten von den Taten der Könige und Völker. War ein Days tatsächlich jemals zum Eidbrüchigen geworden, zu einem Berater, dann war von seinem Schicksal niemals die Rede.
Statt dessen waren die Chroniken so flüssig zu lesen, als habe ein einziger, unbeteiligter Beobachter den König beobachtet und sich mit seinen Angelegenheiten beschäftigt.
Eine ganze Stunde lang dachte Orden darüber nach.
Als Kommandant Stroecker von Gut Bredsfor zurückkehrte, traf er König Orden vor einem niedergebrannten Feuer an, wo er lag und die Hunde streichelte.
König Orden drehte sich um und richtete sich auf. »Was habt Ihr gefunden?«
Stroecker lächelte bitter. Er hatte ein Bündel frischer Pastinaken in seiner rechten Hand. In seinen Augen blitzte etwas auf, was Wut sein mochte. »Das hier, mein Lord. Genug Pastinaken, um eine Armee zu versorgen.« Entsetzen überkam Orden, als ihm klar wurde, daß die Zwingeisen verschwunden, ja vermutlich gestohlen worden waren.
Stroecker lächelte bösartig. »Und diese hier«, sagte er und langte hinter seinen Rücken. Er zog ein kleines Bündel Zwingeisen aus dem Gürtel.
König Ordens Herz tat vor Erleichterung einen Sprung, und zwar derart, daß er dem Kommandanten seinen Scherz augenblicklich verzieh.
Er sprang auf, packte die Zwingeisen, untersuchte sie. Die Runen in jedem von ihnen schienen vollkommen in Ordnung zu sein – sie wiesen weder Dellen noch Kratzer im Blutmetall auf und waren alle von kartischer Machart. Orden hatte keinen Annektor hier, der das Ritual durchführen konnte, doch den brauchte er auch nicht. Mit der Geisteskraft von zwanzig Männern und der Stimmgewalt von fünfzehn konnte Orden den Sprechgesang ebenso gut anstimmen wie der beste von ihnen.
Eine Waffe. Er hatte seine Waffe.
»Kommandant Stroecker«, sagte Orden leise. »Ihr und ich und Borenson sind die einzigen drei Menschen, die wissen, wo dieser Schatz liegt. Dabei müssen wir es belassen. Ich kann nicht riskieren, daß der Feind ihn findet. Und ich darf nicht riskieren, daß Ihr gefangengenommen werdet.«
»In Ordnung«, antwortete Stroecker in einem Tonfall, der Orden verriet, daß der Mann dachte, der König verlange von ihm das höchste Opfer. Stroecker würde sich augenblicklich den Bauch aufschlitzen.
»Aus diesem Grund, Kommandant«, fuhr Orden fort, »sagt den Männern, daß wir Soldaten brauchen, die einen großen Schatz nach Mystarria schaffen. Wählt drei Männer aus – junge Familienväter, die Euch begleiten sollen. Wählt sie sorgfältig aus, denn möglicherweise rettet Ihr ihnen das Leben. Dann nehmt die Männer und vier schnelle Pferde und füllt Eure Satteltaschen mit Steinen, reitet von hier fort und laßt nichts unversucht, um der Gefangennahme zu entgehen.«
»Mein Lord?« fragte Stroecker.
»Ihr habt mich richtig verstanden. Kurz vor dem Morgengrauen wird es hier zum Kampf kommen. Raj Ahten wird seine ganze Streitmacht gegen uns werfen. Er setzt auf die Unterstützung einer Armee von einhunderttausend Mann, und ich – ich weiß nicht, wer mir zur Seite steht. Wenn diese Burg fällt, wenn wir alle
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