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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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aber dennoch viel bezaubernder. Und dann, immer wieder dazwischen, dieses Summen. Eine hohe, weibliche Stimme schien da ein Kinderlied zu intonieren. Sie hatte sich Rücksichtnahme auferlegt, verzichtete ganz auf Worte und auch auf allzu großen Lärm, war eben ein leises Summen nur, wie das einer honigbeladenen Biene.
    Auf dem Bauch liegend, den Kopf seitlich auf ein flaches Kissen gebettet, konnte David weder ausmachen, wer ihm da diese einfache Melodie ins Ohr summte noch woher das helle Glockenspiel kam. Als er aus dem tiefen traumlosen Schlaf erwachte und blinzelnd die Augen öffnete, erblickte er nur die Falten eines hellen Vorhangs und seine Uniform auf einem Bügel an der Wand. Der erste Versuch, sich der Sängerin zuzuwenden, scheiterte kläglich. Irgendein Witzbold musste Bleikugeln in seinen Kopf gefüllt haben. Er ließ sich beim besten Willen nicht drehen. Alles, was David zustande brachte, war ein angestrengtes Stöhnen.
    Aber das genügte dem summenden Honigbienchen schon. David hörte das Scharren von Stuhlbeinen, schnelle Schritte und dann ein aufgeregtes Quietschen.
    Eine Biene hätte in der Zeit ungefähr zweimal aufgeregt mit den Flügeln schlagen können, in der das Gesicht vor Davids Nase aufblitzte und schon wieder verschwunden war.
    »Er ist wach! Mama, er ist wach!«
    Dieses engelsgleiche Antlitz! David erinnerte sich.
    »Rebekka?«, flüsterte er. Niemand hörte ihn. Keiner antwortete. Zunächst jedenfalls nicht. Nach einer kurzen Zeit näherten sich wieder Schritte, unverkennbar eilten da mehrere Leute herbei. Ein fremdes Gesicht erschien nun vor demjenigen Davids, eines mit größerer Ausdauer. Es ragte aus einem weißen Kittel heraus und lächelte.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte es in Englisch mit französischem Akzent.
    »Ich fühle mich wie neugeboren«, lallte David, noch immer unfähig den Kopf zu drehen. »Sind Sie Rebekkas Mutter?«
    »Sie ahnen gar nicht, wie oft mir diese Frage hier jeden Tag gestellt wird. Ja, Rebekka ist meine Tochter und ich bin Marie Rosenbaum.«
    »Sie beide haben eine verblüffende Ähnlichkeit, Mme. Rosenbaum.« In Davids Kopf drehte sich alles. Die Frau, die ihn da so eingehend musterte, sah wirklich aus wie eine um zwanzig Jahre gereifte Version – das Wort »gealtert« wäre in ihrem Fall völlig unangebracht – von Rebekkas Engelsgesicht.
    »Nun mal ehrlich, junger Mann«, sagte Mme. Rosenbaum. Ihre Stimme klang auf eine besorgte Art förmlich. »Wie geht es Ihnen wirklich?«
    »Ich fühle mich, als hätte mich jemand um eine Schrapnellgranate gewickelt und zu den Deutschen hinübergeschossen.«
    »Das liegt vermutlich an dem Morphium, das ich Ihnen gegen die Schmerzen gegeben habe, David. Sie waren drei Tage ohne Besinnung. Ihr Körper wird noch viel Ruhe brauchen, bis er wieder ganz der alte ist.«
    Rebekka erschien wieder in Davids Blickfeld. Sie lächelte, zwar scheu, aber in ihren Augen leuchteten bereits wieder jener Lebenswille und das Mitgefühl, welche David schon vor einem Jahr aufgefallen waren. Leise sagte sie: »Ich wollte mich bei dir bedanken, David.«
    »Und ich schließe mich Rebekka gleich an«, fügte Mme. Rosenbaum schnell hinzu. »Ehrlich gesagt, fällt es mir schwer, in Worte zu fassen, wie sehr ich mich Ihnen gegenüber zu Dank verpflichtet fühle. Wären Sie mir hier gestorben, Monsieur, dann hätte ich Ihnen das nie verziehen!«
    David versuchte zu lachen, aber ein stechender Schmerz im Rücken trieb ihm das schnell wieder aus. Seine Augenlider waren schwer wie Panzerschotte. Er ließ sie einfach nach unten fallen, während er mit schwerer Zunge bat: »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Madame, dann lassen Sie doch bitte diese Förmlichkeit und sagen Sie einfach nur David zu mir.«
    Rebekkas Mutter schien es nicht leicht zu fallen, einem ihrer Patienten dieses Zugeständnis einzuräumen. Es musste wohl Davids besonderes Verdienst gewesen sein, das sie schließlich doch einlenken ließ. »Also gut, David. Dann musst du zu mir aber auch Marie sagen.«
    »Gerne, Marie. Stand es wirklich so schlimm um mich?«
    »Ich würde sagen, noch schlimmer. Rebekka hat alles getan, um die Blutung deiner Wunde zu stillen, bevor sie losgelaufen ist, um Hilfe zu holen. Sie ist zwar erst dreizehn, aber sie hat trotzdem schon viel von mir gelernt. Zum Glück! Du hast zwar viel Blut verloren, aber das Schlimmste scheint nun hinter dir zu liegen.«
    David lächelte schwach. Ohne noch einmal die Augen zu öffnen, schlief er wieder ein.
    Als David das

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