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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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nächste Mal erwachte, fühlte er sich schon erheblich kräftiger. Sogar sein Kopf ließ sich wieder bewegen, wenn auch jede Beanspruchung der Rückenmuskulatur ihm stechende Schmerzen verursachte. In den nächsten Tagen würde er sich noch oft wundern, zu welchen Bewegungen und Verrichtungen der Mensch seinen Rücken in Anspruch nimmt.
    Stöhnend drehte er sich auf die Seite, damit er seine Umgebung eingehender in Augenschein nehmen konnte. Er lag in einem aus Vorhängen bestehenden Separee. Durch einen Spalt konnte er weitere Betten erkennen, in denen bandagierte Männer auf ihre Genesung hofften. Es war nicht schwer zu erraten, dass er sich in einem Lazarett befand. Was ihn allerdings doch etwas verwunderte, war die feste Konsistenz dieses Gebäudes. Er lag weder in einem unterirdischen Loch noch in einem Zelt, sondern in einem richtigen Steinhaus.
    Allmählich kehrte seine Erinnerung zurück. Die Front hatte sich ja völlig verschoben. Es war gut möglich, dass er sich jetzt in Hazebrouck oder noch weiter westlich befand.
    Direkt über Davids Kopf hing ein Mobile aus feinen Glasstäben und -glöckchen. Daher also das sphärische Klingen, das er bei seinem ersten Erwachen vernommen hatte. Bei der weiteren Erkundung seiner Umgebung machte er dann eine Entdeckung, die zwiespältige Gefühle in ihm weckte: Er sah an seinem Bettpfosten die beiden japanischen Schwerter hängen, jene Waffen also, mit denen er Rebekka gerettet, aber auch zwei Leben ausgelöscht hatte. Der Name von Johannes Nogielsky fiel ihm wieder ein. Ob Notwehr oder nicht, er hatte diesen jungen Mann umgebracht. Der Gedanke daran war schwer zu ertragen, ja, er drohte David in diesem Augenblick schier zu übermannen, doch da drang eine helle Stimme an sein Ohr.
    »Was tust du denn da, David? Sei ein braver Junge und leg dich sofort wieder auf den Bauch.«
    Die strenge Mahnerin war Rebekka. Sie musste sich diesen Ton von ihrer Mutter abgehört haben. David gehorchte, wollte sich aber wenigstens nicht völlig kampflos ergeben.
    »Für deine dreizehn Jahre bist du ganz schön selbstbewusst, Rebekka Rosenbaum.«
    »Stört es dich, Isaak?«
    »Mein Name ist David. Schon vergessen?«
    »Anscheinend ist dir schon entfallen, worüber wir uns vor einem Jahr unterhalten haben.«
    David erinnerte sich noch sehr gut daran. In seinen Wangen kam das Blut in Wallung. »Seitdem ist viel geschehen.«
    »Das stimmt. Ich habe beschlossen, dass du mein Isaak wirst. Wenn du willst, tränke ich auch wieder deine Kamele.«
    Jetzt wurde Davids Gesicht sogar heiß. Er fühlte sich völlig überrumpelt. Wehrlos, wie er war, suchte er sein Heil in der Vortäuschung geistiger Beschränktheit. »Du meinst, meine Kameraden.«
    »Wie findest du meinen Vorschlag?«
    »Meine Kamele zu versorgen?«
    »Mich zu heiraten natürlich.«
    David erlitt einen heftigen Hustenanfall.
    Rebekka schleifte den Stuhl um das Bett herum, damit sie ihrem Auserwählten direkt in die Augen sehen konnte, und nahm darauf Platz. »Meinst du, ich merke nicht, dass du dich um eine Antwort drücken willst?«
    »Rebekka, ich bitte dich! Du bist doch erst dreizehn und ich…« Er stockte. Beinahe hätte er sich verraten.
    Ehe das aufgeweckte Mädchen etwas antworten konnte, ertönte mit einem Mal die strenge Stimme ihrer Mutter hinter Davids Rücken.
    »Bekka, lass unseren armen Patienten in Frieden. Wenn du ihn mit deinen Heiratsanträgen verschreckst, hat sein Körper keine Kraft mehr gesund zu werden.«
    Mme. Rosenbaum erschien nun in Davids Blickfeld, sodass er sie dankbar anlächeln konnte. Wie schon beim letzten Mal trug sie auch heute einen weißen Kittel.
    »Wie vielen Patienten hat sich Rebekka eigentlich schon als Ehefrau angeboten?«, erkundigte sich David mit säuerlicher Miene.
    Marie lachte. »Ich bin Ärztin und keine Mathematikerin. Auf jeden Fall sehr vielen! Aber wenn ich in Betracht ziehe, wie oft ich aus ihrem Munde von morgens bis abends deinen Namen höre, dann würde ich sagen, du bist bisher der aussichtsreichste Kandidat, David.«
    David blickte Marie Rosenbaum mit offenem Mund an. Das lag weniger an dem erstaunlichen Heiratswillen ihrer Tochter, sondern hing mehr mit der beiläufigen Äußerung über ihren Beruf zusammen. Jetzt erst dämmerte ihm, weshalb sie nicht die übliche Schwesterntracht trug.
    »Ich dachte, du wärst hier so eine Art Oberschwester«, brachte er schließlich hervor.
    Maries Antwort kam forscher als erwartet. »Wieso? Traust du einer Frau etwa nicht zu als Ärztin

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