Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
sie hinzu: »Nur schade, dass du dein wahres Wesen unter dieser Maske verstecken musst.«
»Dann gehen wir also nach Japan?«
Rebekka schniefte noch einmal und nickte entschlossen. »Wir gehen und du wirst diesen Mitsuru Toyama zur Strecke bringen.«
Henry R. Luce sah David entsetzt an. »Das ist doch nicht dein Ernst, Francis.«
»Ich habe mir alles genau überlegt, Henry. Mein Entschluss steht fest.«
»Aber du bist eine unserer größten Hoffnungen. Du darfst uns nicht einfach verlassen!«
»Dann schicke mich als Korrespondenten nach Japan. Du würdest es nicht bereuen. Ich könnte vor Ort von den fremdenfeindlichen Übergriffen in China berichten. Gib mir die Chance, Henry! Brit hätte es bestimmt getan.«
»Brit ist in Europa. Du musst schon mit mir vorlieb nehmen. Außerdem würde er dir genau dasselbe sagen wie ich.
Im Moment schreiben wir noch rote Zahlen. Wenn Time erst Gewinne einfährt, können wir über ein Korrespondentennetz sprechen, aber noch ist es zu früh dazu. Wir müssen sparen. Was glaubst du, warum ich unsere Redaktion nach Cleveland, Ohio, verlegen will?«
»Du möchtest was?«
»Du hast schon ganz richtig gehört. Wir verabschieden uns aus New York.«
»Brit hat mir gar nichts davon erzählt.«
»Er weiß es ja auch noch nicht.«
»Henry! Du kannst doch nicht hinter dem Rücken deines Partners…«
»Die Entscheidungen über die Führung meines Hauses musst du schon mir überlassen, Francis.«
David schluckte. Verärgert murmelte er: »Dann hätten Bekka und ich sowieso bald umziehen müssen.«
»Wer?«
Aus Davids Kragen schien mit einem Mal heißer Dampf aufzusteigen. Rebekkas Spitzname war ihm in seiner Erregung einfach herausgerutscht. Um von seinem Lapsus abzulenken, ging er zum Gegenangriff über. »Nichts, nur so ein Kosename für Rahel. Henry, es fällt mir schwer, dir deine Sparmaßnahmen als wirklichen Grund für den Umzug nach Cleveland abzunehmen. Du und Brit, ihr beide seid sehr verschieden. Er ist ein Stadtmensch, ein Kosmopolit, aber du bist auf dem Land geboren und aufgewachsen. Ist nicht vielmehr das der Beweggrund, weshalb du nach Ohio gehen willst?«
Henry drehte sich zur Seite, um Davids Blick auszuweichen, aber er konnte sich der Macht seiner Worte nicht entziehen. »Es hat keinen Zweck, dir irgendetwas vorzumachen«, gab er unwillig zu. »Doch das ändert nichts an meinem Entschluss. Wenn du nach Japan gehen willst, dann musst du bei Time kündigen.«
David atmete tief durch. Wie sehr hatte er sich gewünscht für Hadden und Luce arbeiten zu dürfen! Und jetzt warf er das alles weg? Nein, du darfst deine Grundsätze nicht einer Karriere opfern. »Dann soll es halt so sein, Henry. Es tut mir sehr Leid. Vielleicht kann ich ja als freier Mitarbeiter weiter für das Magazin schreiben. Sobald ich in Tokyo angekommen bin, werde ich mich mit Brit und dir in Verbindung setzen.«
Henry hatte sich noch nicht wieder zu David umgedreht. Wie wenig ihm, dem energischen Jungherausgeber, dem sonst alles zu gelingen schien, Davids Ansinnen schmeckte, konnte man nur an seinen mahlenden Kiefern sehen. Sein Blick lag auf dem Verkehr der 39. Straße. Zum Fenster hin sagte er: »Schade. Ich hatte Großes mit dir vor, Francis. Jetzt kann ich dir und Rahel nur noch viel Glück wünschen.«
Der Zug verließ die Grand Central Station am Montag, dem 4. Mai. David und Rebekka durchquerten die Vereinigten Staaten von Osten nach Westen. Von San Francisco aus setzten sie die Reise per Schiff fort. In Hawaii legten sie einen Zwischenstopp von wenigen Tagen ein. Dann stachen sie Richtung Japan in See.
Es war ein Gefühl schwer zu beschreibender Erregung, das David erfüllte, als Nippons Küstenlinie aus dem Meer auftauchte. So mochte vielleicht sein derzeitiger Namensvetter, Sir Francis Drake, empfunden haben, als die zweite Weltumsegelung seit Menschengedenken sich dem Ende näherte. Doch in diesem Augenblick war sich David gar nicht bewusst, den Globus bereits einmal umrundet zu haben. Seine Nervosität entsprang einfach der Erkenntnis, endlich – nach zwölf langen Jahren – wieder zu den Wurzeln seiner Kindheit zurückzukehren. So gesehen fand er sein emotionales Vorbild eher in Odysseus, als dieser nach langen Jahren der Irrfahrt aus dem Trojanischen Krieg heimkehrte. Dabei kam David die Ilias in den Sinn, ein bekritzelter Buchdeckel auf Briton Haddens Schreibtisch, eine vertane Chance – manchmal konnten Assoziationen etwas ziemlich Nervtötendes sein!
Als
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