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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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das Schiff im Hafen von Yokohama einlief, stand er an der Reling und musste an seinen Freund Yoshi denken, der ihm einst zum Abschied vom Pier aus zugewinkt hatte.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte Rebekka leise. Sie stand neben ihm, ihre Schulter an die seine gelehnt, und schien seine Bewegtheit zu spüren.
    »Es geht mir gut.«
    »Bereust du die Entscheidung nach Japan zurückgekehrt zu sein?«
    Er legte seinen Arm um ihre Schulter und küsste sie auf die Schläfe. »Nein. Ich musste so handeln. Mir bereitet nur Sorge, wie du das alles verkraften wirst.«
    »Kennst du das Hohelied?«
    David sah Rebekka verdutzt an. Innerlich musste er lachen. Kennen? Ich habe es regelrecht verschlungen, als Reverend Dr. Costley-White uns jungen über unsere »Männlichkeit« aufklärte. »Ja, ich habe die ganze Bibel gelesen. Aber wie kommst du ausgerechnet jetzt darauf?«
    Sie schmunzelte. »Meine Mutter hat mir daraus vorgelesen. Es war zu der Zeit, als mein Vater schon nicht mehr lebte und ich mich für Jungen zu interessieren begann.«
    »Hauptsächlich für gut aussehende britische Soldaten.«
    »Richtig. Mutter wollte mir zeigen, dass die Sexualität nichts Schmutziges ist, wenn man sie in Einklang mit Gottes Sittenmaßstäben ausübt. Ich habe glühende Ohren bekommen, als ich von der Liebe der Sulamith zu ihrem Hirtenjungen hörte. Ein Satz aus dem Hohelied ist mir bis heute haften geblieben.«
    Kommt mir irgendwie bekannt vor. »Und der wäre?«
    »›Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm; denn die Liebe ist so stark wie der Tod.‹«
    »Das klingt wunderschön.«
    »Für mich sind es mehr als nur romantische Worte, David. Ich sehe darin Gottes Versprechen, dass nichts uns trennen kann, solange unsere Liebe bestehen bleibt. Sie ›ist so stark wie der Tod‹. Deshalb kann mich nicht schrecken, was noch vor mir liegt.«
    David drückte Rebekka an sich und küsste sie auf ihre weichen sinnlichen Lippen. »Ich liebe dich, Bekka. Selbst wenn die Erde sich zwischen uns teilte, wenn der Abgrund des Todes uns trennte, wird unsere Liebe nie zerrissen werden. Das schwöre ich dir.«
    Rebekka schob ihn wieder etwas von sich, um in seine blauen Augen blicken zu können. »Wusstest du, dass du ein richtiger Poet sein kannst?«
    David zuckte die Achseln. »Da siehst du mal, was die Liebe alles fertig bringt.«
    Während die Passagiere die Gangway herunterkamen, fand am Kai ein Wettlaufen der Kofferträger statt. Ein für japanische Verhältnisse ungewöhnlich großer, schlaksiger Bursche von höchstens achtzehn errang den Preis der Murrays: einen Koffer in Schrankgröße, fünf kleinere sowie zwei Taschen. Erstaunlich, wie Rebekka ihre Garderobe in nur neun Monaten aufgestockt hatte!
    Mit dem Zug ging es zum Shimbashi-Bahnhof. David erzählte unterwegs einmal mehr die Geschichte seines ersten Zusammentreffens mit Hirohito. Ab und zu deutete er aus dem Fenster: Dort bin ich mit meinem Vater gewesen. Oder: Dahin haben mich die Itos einmal mitgenommen.
    Für Rebekka war Japan eine fremde, wenn auch aufregend neue Welt. Die ersten Tage verbrachte das Paar in einem Hotel, aber schon Anfang Juli machte sich Yoshis Vorarbeit bezahlt und er überraschte die beiden mit einem hübschen Holzhaus im Stadtteil Sangubashi, am Rande des Yoyogi-Parks, wo man zu Ehren von Hitos Großvater einen Schrein errichtet hatte.
    Yoshiharu Ito war auf höchst unjapanische Art aus dem Häuschen, als er seinen ältesten Freund nach so langer Zeit wieder sah. Jetzt, als erwachsener Mann, sah man erst, wie sehr er seinem verstorbenen Vater ähnelte. Er war ihm förmlich wie aus dem Gesicht geschnitten. Obgleich der kleine Japaner nicht ganz so schlank wie die Mehrzahl seiner Landsleute war, trieb ihn eine tief sitzende Rastlosigkeit zu ständiger Aktivität an. Rebekka überhäufte er mit blumigen Komplimenten, wie sie nur in fernöstlichen Köpfen entstehen können. Er selbst habe leider noch keine passende Ehefrau gefunden. Derzeit verdiene er sich, wie sein Vater zuvor auch, im Auswärtigen Amt erste Lorbeeren auf dem diplomatischen Parkett.
    Yoshi sollte in den kommenden Monaten ein munter sprudelnder Quell für Informationen jeder Art werden. Bereits in den ersten Tagen, während das Ehepaar Murray noch im Hotel wohnte, begann David an einem gewagten Artikel über den Schwarzen Drachen zu arbeiten. Als er Mitte Juli fertig war, schickte er das Manuskript an Henry Luce nach Cleveland, Ohio. David wollte endlich den Kampf gegen

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