Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
sich alle Anwesenden zu verneigen.
Für Hirohito waren die Strapazen damit noch nicht vorüber. Den nächsten Tag verbrachte er mit kunstvollen Tänzen, Glockenklang und – schließlich war er ein japanischer Machthaber – mit rituellem Baden. Durch diese Verrichtungen sollte die Aufmerksamkeit seiner Ahnen geweckt werden.
Danach, am dritten Tag, stand der geheimnisvolle Ritus des daijosai, der Danksagung, auf dem Programm. »Das Geheimnis der Einweihung in die Herrscherpflichten« war eine Zeremonie, der kein Ausländer beiwohnen durfte, auch David nicht. Hierzu hatte man eigens im Palastbezirk zwei heilige Hütten aus ungeschälten Kiefernstämmen errichtet, die von den Ranken wilder Weinstöcke zusammengehalten wurden. Die Stämme waren von Arbeitern geschlagen worden, deren Reinigung gewissenhafte Shinto-Priester vollzogen hatten. Der erste der gefällten Stämme war sogleich verbrannt worden, um den Gott der Wälder wohlgesinnt zu stimmen, die übrigen wurden von Bauern in alter Tracht durch die Straßen Kyotos gezogen. Leider war all die Mühe nicht von Bestand. Nachdem Hito über seine Pflichten in Kenntnis gesetzt sein würde, sollten die heiligen Häuslein wieder abgerissen werden.
Doch bis dahin war auch eine Menge zu tun. Zunächst musste er wieder baden. In einer bewusst schlicht gehaltenen, viereckigen Tonne hatte er sich von allen Unreinheiten zu befreien. Anschließend durfte er sich in ein weißes Gewand hüllen. Nun reinigte ein Priester ihm rituell die (vom vielen Baden inzwischen schrumplig gewordenen) Hände. All diese Strapazen dienten einzig dem Zweck, den Kaiser für die Kommunikation mit der »großen Göttin« vorzubereiten.
Nachdem die Sonnengöttin ihn ins Gebet genommen hatte, folgte wieder ein eher heiterer Abschnitt der Feiern. Dieser bestand unter anderem in alten Tänzen und einer von Fackelträgern begleiteten sakralen Prozession. Hito musste barfuß über Binsenmatten schreiten, die man hinter ihm unverzüglich einrollte, damit kein anderer sie betrete. Es wäre zu ermüdend, all die Handlungen zu beschreiben, denen sich Amaterasus Nachkomme noch unterziehen musste, und es mag Mitgefühl wecken, wenn man erfährt, dass dieses komplizierte Ritual in und vor der zweiten Kiefernhütte noch einmal wiederholt wurde. Sicher war, dass Hirohito auch in dieser Nacht wenig Schlaf finden würde, denn vor dem Morgengrauen ließ sich ein derart ausgedehntes Zeremoniell kaum bewältigen.
Davids Artikel für Time war schon so gut wie fertig, noch bevor Hirohito zum ersten Mal gebadet hatte. Er durfte sich Hoffnungen auf eine Titelgeschichte machen. Wenn Brit und Henry gewusst hätten, wie wenig ihn das im Moment interessierte, wären sie vermutlich enttäuscht gewesen.
Als er am Samstagmorgen in Begleitung von Rebekka und Yoshi vor dem Kashiko-Dokoro auf das Kaiserpaar wartete, war David so aufgeregt, dass er kaum die Hände ruhig halten konnte. Er wusste im Grunde herzlich wenig über Toyamas Äußeres, nur dass er für einen Japaner ungewöhnlich groß war. Es war Yoshi nicht einmal gelungen, eine Fotografie von dem Kopf des Schwarzen Drachens zu bekommen. Einige der befragten Zeugen hatten den geheimnisvollen Mann zumindest beschreiben können – allerdings auf ziemlich widersprüchliche Weise. Es würde also eine gute Portion Glück dazu gehören, Toyama in der Menge zu entdecken.
Als Trommeln und Zimbeln das Herannahen des Kaiserpaares ankündigten, entstand Unruhe in der Menge. Anders als am Nachmittag säumten die Zuschauer hier mehr oder weniger ungeordnet den Weg, welchen Hirohito und Nagako nehmen würden. Die kaiserliche Leibgarde sorgte nur dafür, dass niemand dem himmlischen Machthaber in die Quere kam.
Davids Hals wurde lang. Seine Augen tasteten wie Fühler über die Gesichter der Zuschauer. Obwohl sich die Ehrengäste gesittet benahmen, war die Szene doch alles andere als übersichtlich. Japaner, Europäer und Amerikaner, Staatsmänner, Diplomaten und Pressevertreter – alle zusammen bildeten einen Pulk aus Leibern, in dem man leicht einen Elefanten hätte verstecken können. Wie sollte er da einen einzelnen Menschen ausmachen?
Dann schwoll das Stimmengewirr an. Würdevoll schritten Hirohito und Nagako in ihrem weißen Damast auf das Heiligtum zu. Die Menschen jubelten: »Banzai! Banzai!« Zehntausend Jahre wünschten sie ihrem neuen Mikado und weil er, anders als sein launischer Vater, auch die Sympathien vieler Ausländer besaß, schlossen diese sich dem Beifall
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