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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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sich nicht wirklich in eine goldene Kugel verwandelt. Aber der Farbgeber hatte sein Aussehen verändert.
    Aus der Ferne wehte das Pfeifen einer Dampflokomotive herüber. Hirohito bedankte sich schüchtern bei David und gab endlich dem Drängen der Leibwächter nach, die ihn gerne wieder in der Nähe des Großvaters gewusst hatten. Mit dem glänzenden Ball in der Hand stiefelte der kleine Offizier zurück.
    Über den Empfang des Herzogs von Connaught an sich gibt es wenig zu berichten. Kaiser Meiji begrüßte ihn mit aller Herzlichkeit, zu der ein so erhabenes Wesen im Stande war. Auch der englische Thronerbe war in bester Stimmung, gab sich beinahe ausgelassen. Man wechselte höfliche Worte, die im Geschepper der Empfangskapelle fast völlig untergingen. Der kleine Offizier erhielt ein Kompliment für seine gut sitzende Uniform. Zuletzt überreichte David seine Blumen, wurde programmgemäß auf den Arm genommen, den Herren von den Gazetten gezeigt und erhielt zuletzt noch einen außerplanmäßigen Kuss auf die Wange.
    »Na, Schatz, wie fühlst du dich?«, fragte die Mutter auf dem Heimweg, die unerwartete Vertraulichkeit des Herzogs ansprechend.
    »Es hat gekitzelt«, entgegnete David und wischte sich demonstrativ über die Wange. Er mochte es nicht besonders, von Männern mit Bärten geküsst zu werden.
    Während Sam seine Apfelschimmel geschickt durch das Gewimmel der Straßen dirigierte, vorbei an Bade-, Tee- und Geishahäusern, musste David immer wieder an den traurigen Jungen denken. Er hatte ihm zweimal ein Lächeln geschenkt. Das machte David zufrieden, auch wenn es ihm lieber gewesen wäre, er hätte dafür nicht seinen Ball opfern müssen.
     
     
    Jemand, der beim Niesen die Augen schließt, macht sich darüber wenig Gedanken. Das geht wohl jedem so. Andere vollbringen Bedeutenderes, das sie der Masse ihrer Mitmenschen enthebt. Sie können vielleicht in schwindelnder Höhe auf einem schmalen Seil entlangbalancieren, ohne auch nur zu schwanken. Solche akrobatischen Leistungen mögen für sie etwas ganz Normales sein. Genauso verhielt es sich für David mit seinen Begabungen.
    Ob er voraussah, was im nächsten Augenblick geschehen würde, einem Ding eine neue Farbe verlieh oder jemanden mit wenigen Worten die Wahrheit erkennen ließ und diesen Menschen dadurch für sich gewann – er tat alles mit einer schlafwandlerischen Sicherheit, die man wohl nur haben kann, wenn man sich seiner Fähigkeiten überhaupt nicht bewusst ist.
    So verwundert es nicht, dass David in den Tagen nach der Bahnhofsepisode weniger über die Verfärbung seines Balles nachdachte als über diesen anderen Jungen, dem ein gewisser Herr Maruo das Lachen verboten hatte. Selbst wenn er mit Yoshi in die Rolle der Siebenundvierzig Ronin schlüpfte (diese legendären Samurai, deren Landesfürst von hundsgemeinen Schurken zum rituellen Selbstmord gezwungen worden war) und sie durch den Garten der Itos fegten, um die nur für sie sichtbaren Meuchler mit ihren Bambusschwertern zu bearbeiten, hielt er manchmal inne und verfiel in eine tiefe Nachdenklichkeit. Dieses fast an Meditation grenzende Insichgekehrtsein war für einen Fünfjährigen ungewöhnlich, für David aber durchaus typisch.
    Ungefähr zwei Wochen nach der Darbringung seines Ballopfers klopfte ein Bote an die Tür von New Camden House, der die Kleidung eines kaiserlichen Hofbediensteten trug. Er verlangte den Viscount Camden persönlich zu sprechen. Gemeinhin galt es als Affront, wenn ein Mann von Adel zuerst mit seinem geringerwertigen Titel angesprochen wurde. Aber Geoffrey konnten solche peinlichen Schnitzer nur ein Schmunzeln entlocken. In seiner vorurteilslosen und freundlichen Art war er kein Aristokrat wie die anderen – und gerade das adelte ihn.
    Zufällig war der Earl of Camden an jenem Morgen gerade zu Hause, als des Kaisers Bote aufkreuzte. Für Geoffrey konnte der unerwartete Besuch nur eine Ursache haben, die mit seinen diplomatischen Aufgaben zusammenhing, auch wenn die Art der Zustellung in seiner Privatresidenz mehr als ungewöhnlich war. Umso mehr wunderten sich Maggy und er, als der Bote ein gerolltes Dokument überreichte, das an ihren Sohn adressiert war! Der Überbringer selbst hatte nicht die geringste Ahnung, worin der Zweck seines Auftrages bestand, und konnte lediglich auf den Absender hinweisen: Seine Hoheit Kaiser Meiji persönlich hatte das Schreiben mit seinem Siegel beglaubigt.
    Der Bote verabschiedete sich mit einer größeren Anzahl von Verbeugungen

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