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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Suchflug aufhalten zu lassen.
    »Eine Schatulle?«
    »Ein kleines Holzkästchen.«
    »Sie meinen eines mit Intarsien aus verschiedenen Hölzern, etwa so groß?« Sir Rifkind beschrieb die Dimensionen mit beiden Händen und abgespreizten Daumen, einem Kameramann auf der Suche nach dem idealen Bildausschnitt nicht unähnlich.
    Elsa hielt augenblicklich inne. »Haben Sie es etwa gesehen, Sir?«, erkundigte sie sich. Ihre Frage klang fast wie eine Drohung.
    Der Anwalt lächelte gewinnend. »Nun, sagen wir, ich weiß, wo es sich gerade befindet.«
    »Bei allem Respekt, Sir, aber warum haben Sie uns das nicht früher verraten?«
    »Ad eins hat mich niemand gefragt und ad zwei bin ich keine Biene, die schon meilenweit gegen den Wind wittert, wo’s den besten Honig gibt.«
    An dieser stichhaltigen Faktenlage konnte Elsa nicht rütteln. Deshalb surrte sie aufgeregt aus dem Salon, um die Neuigkeit im ganzen Stock zu verbreiten.
    Wenig später traf David im Salon ein. Noch in der Tür fragte er: »Sie wissen, wo sich die Schatulle meines Vaters befindet?«
    »Selbstverständlich. Deine Mutter hat sie mir zur Verwahrung gegeben.«
    »Das wusste ich gar nicht.«
    »Jetzt weißt du es.«
    »Kennen Sie das Diarium meines Vaters, Sir?«
    »Mir ist bekannt, dass sich ein von Geoffrey geschriebenes Buch in der Schatulle befindet, aber ich habe es nie gelesen. Er hat verfügt, dass niemand anderer als du es öffnen sollst.«
    David nickte betrübt. »Wenn er unerwartet sterben sollte.« Ich glaube, fügte er in Gedanken hinzu, Vater hat seinen frühzeitigen Tod vorausgesehen.
    »Oder wenn du volljährig bist«, präzisierte der Anwalt. »Die Kiste mit dem Vermächtnis deines Vaters befindet sich bei mir zu Hause. Es ist keine formelle Testamentseröffnung nötig, um sie dir zu zeigen. Wenn du bereit bist, dann können wir gleich hinüberfahren und ich händige dir alles aus.«
    David war bereit. Fleißige Hände hatten ihm längst eine große Reisetasche gepackt. Er selbst vervollständigte sein Notgepäck nur um die beiden Schwerter aus Japan. Im Falle längerer Abwesenheit konnte er sich beliebig viele Schrankkoffer nachkommen lassen. William H. Rifkinds Anwesen war schließlich nur wenige Autominuten entfernt.
    Das Haus des Anwalts befand sich am Hanover Square, unweit des Oxford Circus. Der fast quadratische Platz gehörte zu jenen kleinen grünen Inseln im Londoner Häusermeer, die den Besucher mit ihren Bänken, Bäumen und dem Rasen zum Verweilen einluden. An drei Seiten hätte man durch die schmalen Zugangsstraßen einen Stein werfen können und er wäre auf einem der großen Boulevards gelandet, deren hektischer Verkehr diesen Ort wie eine Oase der Ruhe erscheinen ließen.
    Hannibal’s Court verdankte seinen Namen einem seiner Vorbesitzer sowie dessen Hang nach Abgeschiedenheit. Dieses Ruhebedürfnis prägte das ganze Konzept des Anwesens. Das vierstöckige Haus war um einen kleinen Innenhof herum gebaut, dessen friedliche Stille selbst den benachbarten Hanover Square wie einen Truppenübungsplatz aussehen ließ. Die Herrschaftszimmer blickten fast alle auf die Rotbuche in dem kleinen Hof hinab. An einem der Fenster stand jetzt David.
    Hinter ihm, auf dem Bett, lag Vaters Schatulle. In der Hand hielt er den Schlüssel dazu. Sir William hatte ihm eine der Gästefluchten im zweiten Stock zugewiesen. Hier verfügte der in seiner Waisenrolle noch recht unbeholfene junge Mann über einen Tagesraum, ein Schlafzimmer und sogar über ein eigenes Bad. Ein wahrhaft fürstliches »Provisorium«, wenn man bedachte, dass in London fast jeder Dritte in Armut lebte und ausbeuterische Hausbesitzer nicht selten fünf oder gar zehn Personen in einen einzigen düsteren Raum pferchten. Schwere Gedankenketten gingen ihm durch den Kopf, während er in den stillen Hof hinunterblickte und mit sich rang, ob er den kleinen Schlüssel zwischen seinen Fingern endlich benutzen sollte.
    Eine Katze schlich über den Hof, angelockt von einer Schar Sperlinge bei der Buche. Die Jagdszene löste in Davids Kopf eine Kettenreaktion aus. Ihm fiel wieder die nächtliche Hatz durch Tokyos Straßen ein, dann der Schemen in Westminster Abbey und zuletzt die Zeugenberichte aus Lieutenant Barepitchs Mund. Dunkle Gestalten. Immer wieder tauchten sie auf. Bedrohlich. Unheil war ihr ständiger Begleiter…
    Was hatte die schattenhafte Gestalt in der Abtei gewollt? Die Frage stand mit einem Mal wie in Emaille gebrannt vor Davids Augen. Für ihn war das Unglück vor

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