Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
die gemächliche Misogi.
Im Gegensatz zu ihm selbst schien Rebekka die Seereise beinahe zu genießen. Auf David machte sie einen geradezu provozierend ausgeglichenen Eindruck. Bezug nehmend auf den Namen des Schiffes meinte sie irgendwo mitten im Pazifischen Ozean, das »Nebelmädchen« werde von seinem Fahrplan nicht um ein Jota abweichen, auch wenn er noch so oft das Promenadendeck hinauf- und wieder hinunterliefe. »Schließlich ist das kein Tretboot hier.«
David hatte in der Tat schon drei- oder viermal die besagte Distanz absolviert, als sie diese Bemerkung von ihrem Liegestuhl aus machte. Er blieb abrupt stehen und sah sie verdutzt an – zunächst wegen ihrer zweideutigen Anspielung und dann auch wegen des Buches, das sie in der Hand hielt.
»Was liest du denn da?«
»Die Biene Maja von Waldemar Bonsels. Wirklich niedlich, das Buch!«
»Aber…« David stockte. »Ist das nicht eine Kin dergeschichte?«
»Das hast du fein bemerkt, Liebster.«
»Und warum…? Ich meine… Du könntest doch…«
»Irgendwie machst du mir einen etwas konsternierten Eindruck, David. Es gibt nicht viele Kinderbücher, die in so viele Sprachen übersetzt wurden wie Die Biene Maja, und da ich nicht wissen kann, in welchem Land unser Kind geboren werden wird, hielt ich es für eine passende Wahl.«
»Soll das etwa heißen…? Du willst mir damit doch nicht sagen, dass…?«
Erst zog Rebekka den Kopf zwischen die Schultern und grinste, dann schenkte sie ihrem Mann ein glückliches Strahlen.
David fiel vor ihr auf die Knie, was in der näheren Umgebung für einiges Aufsehen sorgte. »Das ist unglaublich. Ich werde Vater!«
»Also so unbegreiflich finde ich das gar nicht«, trällerte Rebekka. »Immerhin haben wir uns alle Mühe gegeben, seit wir damals in der Badewanne…« Sie verstummte jäh. Mit einem Mal waren ihr die vielen gespitzten Ohren in der Nachbarschaft bewusst geworden. Leiser fügte sie hinzu: »Schade nur, dass ich es Nagako noch nicht sagen konnte. Sie ist gerade zum dritten Mal schwanger.«
David nickte. »Der arme Hito fürchtet, seine Berater werden ihm wieder irgendwelche Konkubinen aufzuschwatzen versuchen, wenn die Prinzessin nicht endlich einen Thronerben zur Welt bringt. Mir ist es völlig gleich, ob wir zuerst einen Jungen oder ein Mädchen bekommen. Weißt du schon, wann es so weit ist?«
»Nicht genau.« Rebekka senkte wieder ihre Stimme. »Wir waren ja auf unserer letzten Seereise nach Japan sehr fleißig.«
»Das heißt, wir könnten im April nächsten Jahres schon Eltern sein!« David ließ sich benommen neben Rebekka auf das Hinterteil sinken. Eine mitfühlende Dame mittleren Alters wollte ihm ihren Stuhl anbieten, aber er schüttelte nur den Kopf. Erst musste er die Tragweite der überraschenden Nachricht begreifen: Endlich erfüllte sich Rebekkas Wunsch nach einem eigenen Kind. Und zugleich würde er fortan um zwei Schätze bangen müssen.
Am Nachmittag des 13. August passierte die Maid of the Mist das Golden Gate, die Einfahrt zur Bucht von San Francisco. David hatte bereits telegrafisch ein Schlafwagenabteil nach New York gebucht. Noch am Dienstagabend setzte das Paar seine Reise fort. Rebekka verbat sich jede Verzögerung. Ihr Mann müsse sie nicht wie ein rohes Ei behandeln, hatte sie sich beschwert. Das sei entwürdigend.
Die Rolle des werdenden Vaters war für David vollkommen ungewohnt. Den Protest seiner Frau nahm er daher widerspruchslos hin. Außerdem ließ sich die Angst um den schwer kranken Freund in New York nicht wie eine Glühlampe einfach abschalten. David befand sich in einer echten Zwickmühle: Einerseits plagte ihn die Sorge um Mutter und Kind, andererseits fieberte er dem Wiedersehen mit Brit entgegen.
»Ich wünschte mir so sehr, bald diesen Belial zu stellen«, gestand er Rebekka, während sie im viel zu engen Bett des Abteils in seinen Armen lag. »Dann könnte unsere kleine Familie ein paar schöne Jahre in Cornwall verbringen.«
Rebekka hob den Kopf von seiner Brust. »Wieso ausgerechnet in Cornwall?«
»Du weißt doch, dass mir aus der Hinterlassenschaft meines Vaters noch eine Hand voll Anwesen geblieben sind – unser Notgroschen gewissermaßen. Eines davon muss ein wunderschönes Landgut im äußersten Südwesten Englands sein. Es liegt auf den Klippen westlich von St. Ives, nicht ganz fünfzehn Meilen nördlich von Land’s End. Mein Vater hat dort in seiner Jugendzeit drei oder vier Sommer verlebt, von denen er mir immer vorschwärmte. Ich
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