Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
angeblich zum »Selbstschutz«. Jetzt erwartete ihn die Todesstrafe. David erinnerte sich recht gut der Ängste des Japaners. Er hatte dessen Mitarbeit nur mit dem Versprechen erkaufen können, sich nicht an die Behörden zu wenden. Und nun sollte sich Okazaki selbst dem Henker ausgeliefert haben? David hatte ernste Zweifel an dieser öffentlich verbreiteten Geschichte.
In Begleitung Mias kehrte er nach Japan zurück. Dank kaiserlicher Unterstützung konnte er den noch lebenden Okazaki im Gefängnis besuchen, aber der Mensch, den er dort fand, war nicht mehr derselbe, den er in der Bruchbude am Berg Fuji aufgespürt hatte. Ähnlich wie einst bei Franz von Papen schien Okazakis Gedächtnis manipuliert, gewaschen oder ausgelöscht worden zu sein. Man mochte es nennen, wie man wollte, die Quelle Kazuaki Okazaki war versiegt. Und Lucius Kelippoth wieder einmal untergetaucht.
»Übrigens, wer genau hat dich letztes Jahr nach Japan geschickt, um die Hintergründe des Giftgasanschlages zu recherchieren?«, fragte David seine Enkelin, nachdem er ihr in einer Teestube von dem frustrierenden Gefängnisbesuch berichtet hatte.
»Angesprochen hat mich Armin Mahler, ein Redakteur, der häufig über japanische Themen schreibt. Aber Preuß hat die Reise genehmigt.«
»Welche Position hat er inne?«
»Joachim Preuß? Er ist der Stellvertreter von Stefan Aust, dem Chefredakteur des Spiegels. Warum interessiert dich das?«
»Ich finde es höchst seltsam, dass unsere Familienzusammenführung just in dem Augenblick stattgefunden hat, als ich einem der letzten beiden Logenbrüder Belials dicht auf den Fersen war.«
»Du willst doch nicht etwa andeuten, dass einer meiner Chefs beim Spiegel mit Lord Belial…?«
»Beruhige dich, meine Kleine. So weit brauchen wir gar nicht zu gehen. Jemand muss deinen Vorgesetzten ja nur den Tipp gegeben haben, die äußerst talentierte Mia Rosenbaum mit den ermüdenden Recherchearbeiten in Japan zu beauftragen. Auf irgendeine Weise ist der Redaktionssekretärin dann noch der Name des Fairmont Hotels in die Hände gespielt worden und schon war unser Treffen vorprogrammiert.«
Mia schüttelte verwundert den Kopf. »Und ich habe mich letztes Jahr, während meines Fluges nach Japan, immer wieder gefragt, warum nicht einer von Wagners Leuten auf die Story angesetzt worden ist.«
»Wagner?«
»Dr. Wieland Wagner betreut die Redaktionsvertretung des Spiegels in Tokyo.«
David nickte. »Jetzt weißt du, weshalb du ins Ausland durftest.«
Die Erkenntnis war für Mia mindestens ebenso niederschmetternd wie für David. Lord Belial schien die ganze Zeit von Rebekkas Überleben gewusst zu haben. Aber das Wiedersehen mit ihrem Mann hatte er so lange verhindert, bis er es auf eine maximal grausame und für ihn optimale Weise nutzen konnte: David war von einer heißen Spur fortgelockt worden und hatte neue Seelenpein erlitten. Aber in einem Punkt irrte der Schattenlord: Diesmal war David nicht zusammengebrochen. Im Gegenteil. Als er nun die Machenschaften Belials zu überblicken begann, erwachte in ihm ein Zorn, den selbst der Schattenlord niemals freiwillig herausgefordert hätte.
Entschlossener denn je machte sich David an die Aufdeckung der letzten Intrige des Jahrhundertplans. Der Kreis der Dämmerung konnte nicht mehr die Kraft haben, die Welt in eine derartig umfassende Krise zu stürzen, wie es der Erste und Zweite Weltkrieg gewesen waren. Von dieser Annahme ging David aus. Das Ende der Menschheit musste durch eine Katastrophe verursacht werden, so lautete seine Hypothese. Während sich ein kleinerer Mitarbeiterstab seiner Nachrichtenfarm weiterhin mit der Erforschung der Hintergründe des Tokyoter Giftgasanschlages beschäftigte, konzentrierte sich der Rest seiner internationalen Bruderschaft auf die Verhinderung dieses Anschlags zur Vernichtung der Menschheit.
Die Aufgabe war gewaltig. Mit dem Zerfall der Sowjetunion wurden die atomaren Waffenarsenale gewissermaßen aufgespalten. Mehrere der einstmaligen Sowjetrepubliken kontrollierten jetzt ein Zerstörungspotenzial, das auf Belial äußerst verlockend wirken musste. Deshalb setzte David alles daran, jede in diesem Zusammenhang wichtige Information zu bekommen. Gemeinsam mit Mia reiste er nach Moskau, auf die Krim und auch nach Peking. Er stellte seine natürliche Überzeugungskraft ganz in den Dienst der Entspannung. Nicht selten half ihm dabei der legendäre Ruf von David Pratt.
Seit Jahrzehnten schon interviewte der weißhaarige Journalist
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