Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
Wohn-Schlaf-Koch-Büro. Und Letzterer staunte über Zvi Aharonis Brief auf seinem Schreibtisch.
Er könne Davids Vermutungen im Hinblick auf seinen Arbeitgeber nicht bestätigen, schrieb Zvi vieldeutig, aber dessen feines Gespür für »gewisse Zwischentöne« habe er schon immer bewundert. Alter Heuchler, dachte David, ich kenne deinen Chef, den Giftzwerg, und ich kenne dich. Aber jetzt, mein Bruder, musst du endlich Farbe bekennen. In Sa chen Eichmann habe er wenig ausrichten können, gestand Zvi im Weiteren, weil derartige Ermittlungen nicht in sein Ressort fielen.
David verfasste sofort eine Antwort, in der er den aktuellen Ermittlungsstand darlegte und auch den Abbruch der Operation heftig kritisierte. Sobald er sich in Buenos Aires wieder etabliert habe, werde er Zvi Nachricht geben.
Diesmal überstürzte David nichts. Der Kreis der Dämmerung hatte erneut zur Jagd auf ihn geblasen. Er musste vorsichtig taktieren. Vor allem seinen Stützpunkt, die Gelbe Festung, wollte er nicht in Gefahr bringen. Jetzt war eine glaubhafte Tarnung notwendig.
Lorenzo wurde Davids neuer Chefanalytiker und Leiter der Rechercheabteilung. Nach einigem Hin und Her willigte er sogar in einen offiziellen Arbeitsvertrag ein. Von nun ab bezog er ein festes Gehalt und würde, ganz wie in Rom gefordert, sein dienstliches Umfeld auf New York beschränken können. Die »Odyssee kreuz und quer über den Globus« blieb weiterhin Davids Angelegenheit. Zwar hatte der Italiener noch keine festen Mitarbeiter, aber auch das sollte sich in Kürze ändern. Nicht zuletzt auf sein Drängen war David zu der Überzeugung gelangt, ihre New Yorker Mannschaft alsbald verstärken zu müssen. In Manhattan sollte endlich jene Nachrichtenagentur Wirklichkeit werden, die bisher nur als Briefkastenfirma existiert hatte.
»Das Kind braucht einen neuen Namen, einen, mit dem es groß und stark werden kann, ein Warenzeichen gewissermaßen, das zugleich Programm ist«, meinte Lorenzo und rümpfte die Nase. »›Ich kaufe meine Nachrichten bei Dan Kirpan ein.‹ Wie sich das anhört!«
»Ich finde, auch nicht schlechter als ›Reuters‹.«
Lorenzo schüttelte den Kopf »Das ist etwas anderes, mein Lieber. Kirpan ist der Herr der Gelben Festung, ein Mann, den fast nie jemand zu Gesicht bekommt und damit per se ungeeignet, um auf ihm eine Firma zu gründen. Außerdem, was wird morgen sein? Bei dir verschleißen sich die Namen einfach zu schnell.«
»Das ist ja der Zweck der Übung. Ich bin wie der Wind, der weht, wo er will, dessen Geräusch man hört, aber nicht weiß, woher er kommt und wohin er geht… «
»Johannes, Kapitel 3, Vers 8 – ich unterbreche dich ja nur ungern, David, aber ein wenig mehr Kontinuität und Präsenz wird schon vonnöten sein, um einen Markennamen zu etablieren.«
»Dann nennen wir unser Kind eben Truth – ›Wahrheit ‹. «
Lorenzo lächelte. »Das sieht dir ähnlich!«
David zuckte die Achseln. »Mark Twain soll einmal gesagt haben: ›Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht.‹ Vielleicht können wir daran ja etwas ändern. Belial verlässt sich ganz auf die Dynamik zersetzender Gerüchte. Wir legen Truth auf die andere Waagschale.«
Und so hatte das Kind einen neuen Namen, unter dem es bald wuchs und gedieh. In Truth wurden Informationen aus aller Welt gesammelt, dechiffriert, analysiert, sortiert und gewichtet. Der größte Teil der eingeheimsten Meldungen und Bilder sollte den Nachrichtenmedien – Zeitungen, Magazinen, Rundfunkstationen und dem Fernsehen – angeboten werden. Aber der eigentliche Zweck der Organisation bestand darin, einen »Extrakt« aus den eingeholten Informationen zu gewinnen für die Jagd auf den Kreis der Dämmerung.
Als Ruben Rubinstein merkte, dass sein Posten als freier Vermögensverwalter nicht bedroht war, verlor er sein anfängliches Misstrauen gegenüber Lorenzo. Bald waren der Jude und der Heilige dicke Freunde, die keine Gelegenheit ausließen, ihren Chef aus der Fassung zu bringen.
»Was sind das für Kartons?«, fragte Lorenzo einige Tage nach seiner Ankunft in New York. Er deutete auf die Kisten an der Wand hinter Davids Schreibtisch.
»In einem befinden sich alte Aktien, mit denen ich bei Gelegenheit mein Büro tapezieren werde…«
»Gute Idee!«, warf Lorenzo schmunzelnd ein.
»…und in dem anderen sind die in Ben Nedals Strandpalast gefundenen Papiere. Ich habe dir ja davon erzählt.«
Lorenzo nickte. »Kann ich sie mir
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